Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)
jemandem anvertrauen, Knight? Das passt ja gar nicht zu dir.« Bailey grinste.
Das saß. Ich starrte auf den roten Teppich der Rücklichter, der sich vor uns ausbreitete. Plötzlich fühlte ich mich durch meinen Sicherheitsgurt beengt. Ich zog ihn vor und atmete tief ein. Ich wollte Bailey nicht von Romy und den wahren Gründen für mein Zerwürfnis mit Graden erzählen, aber ich hatte nicht geahnt, wie sehr mich mein Schweigen belasten würde.
Bald war Weihnachten, dann Silvester. Für niemanden war das eine gute Zeit, um über das Ende einer Beziehung hinwegzukommen, aber in meinem Fall gesellte sich noch das Elend hinzu, das mich über die Feiertage immer packte und mir den Verlust meiner Familie noch einmal besonders bewusst machte.
»Bailey …«, begann ich und musste mich sofort wieder unterbrechen, weil sich meine Kehle zuschnürte. Bailey sah mich erschrocken an, als ich nur einen erstickten Laut hervorbrachte.
»Ja? Was ist denn? Alles in Ordnung?«
Plötzlich wurde der Raum um mich herum zu einem endlosen Universum. Von allem losgelöst flog ich durch die dunklen Weiten des Himmels. In meinem verzweifelten Versuch, dieser eisigen Vorhölle zu entrinnen, begann ich zu reden.
»Es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss. Ich hatte eine ältere Schwester, Romy …«
Die geballten Menschenmassen, die den Freeway verstopften, verschafften mir die nötige Zeit, um die ganze Geschichte zu erzählen, einschließlich meines Streits mit Graden. Ich starrte vor mich hin und fixierte den Strom der Autos. Im Hinterkopf war mir bewusst, was für einen Preis ich dafür zahlen würde, dass ich dieses Geheimnis in so vielen Jahren der Freundschaft stets für mich behalten hatte. Bailey ließ mich einfach reden.
»Es tut mir leid, Bailey«, sagte ich schließlich und schaute sie endlich auch wieder an. »Ich weiß, dass ich dir …«
Was ich sah, ließ mich sofort innehalten. Baileys Wangen waren tränenüberströmt. Ich konnte mich nicht erinnern, sie je weinen gesehen zu haben.
Nach einer Weile sagte sie: »Da kannst von Glück reden, dass wir noch leben, wenn du mir so etwas mitten in einem solchen Verkehr erzählst.« Dann wischte sie sich die Tränen ab.
»Das ist also der Grund, warum ich Graden verlassen habe.«
»Verstehe.« Dann stellte sie unter Beweis, wie gut sie mich doch kannte. »Und nein, ich halte dich nicht für verrückt. Mir würde es auch nicht gefallen, wenn jemand in meiner Vergangenheit wühlen und irgendwelchen Mist ausgraben würde.«
Die Erleichterung war beinahe schwindelerregend. Bailey war nicht sauer, und sie verstand mich sogar. Bis zu diesem Moment hatte ich nicht gewusst, wie viel Kraft es mich gekostet hatte, ihr die Sache zu verschweigen.
Bailey nickte vor sich hin. »Ich verstehe dich. Andererseits, er hat dich gegoogelt«, sagte sie leise. »Er hat keine exzessiven Nachforschungen angestellt.« Sie machte eine Pause. »Meinst du nicht, du hast ein bisschen zu empfindlich reagiert … nur ein ganz klein bisschen?«
Ich schlang die Arme um den Oberkörper und sah aus dem Fenster. Der Mond war eine geisterhafte Erscheinung am Himmel, wo sich noch die letzten störrischen Sonnenstrahlen behaupteten. Erschöpft vom Gefühlsüberschwang der letzten halben Stunde ließ ich mich von dem Anblick verzaubern. Auf Baileys Frage hatte ich keine vernünftige Antwort, da es mir unmöglich war, meine Reaktion objektiv einzuschätzen.
»Natürlich ist es nicht dasselbe, jemanden zu googeln oder kriminalistische Nachforschungen anzustellen, aber du hast es nicht getan und Toni auch nicht. Oder?«
»Nein, ich habe es nicht getan und Toni auch nicht. Aber wir sind auch nicht Graden …«
»Genau das ist der Punkt«, ereiferte ich mich. »Sein Verhalten hat mit seinem Kontrollzwang zu tun und nicht mit seinem Interesse an mir.«
»Kann euer Problem nicht zwei Seiten haben?«, sagte Bailey. »Gradens Bedürfnis, alles zu wissen, und dein Hang zur Abgrenzung. Das muss aber noch lange nicht das Aus bedeuten. Es sei denn, du beschließt es so.«
»Oder er«, fügte ich hinzu.
»Er tut es nicht«, sagte Bailey.
Misstrauisch sah ich sie an.
»Ich habe nicht mit ihm gesprochen«, sagte Bailey. »Das muss ich gar nicht. Sein Anblick genügt mir.«
Bailey log nie, also glaubte ich ihr. Ob sie allerdings recht hatte mir ihrer Behauptung, dass er die Trennung nicht wünschte, war eine ganz andere Sache.
Nicht dass das für mich einen Unterschied machen würde.
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