Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)
in meiner Brust ein warmes Gefühl hervorrief, das schnell in meinen ganzen Körper abstrahlte. War der Moment gekommen, da wir uns zum ersten Mal lieben würden? Ich hatte das Gefühl, endlich dafür bereit zu sein, fragte mich aber mit einem reumütigen Lächeln, ob wohl auch Graden in der Stimmung dazu war. Als Teenager mochten sie ja selbst im Koma liegend noch allzeit bereit sein, aber während meiner Beziehung mit Daniel hatte ich festgestellt, dass erwachsene Männer auch ihre schlechten Tage hatten. Nicht oft, aber es kam vor.
Nun spielte die Band Jordu , und ich stellte das Denken ein, um vollständig in der Musik zu versinken. Der Abend verstrich angenehm, entspannt und sehr zärtlich. Als wir aber in Gradens Wagen stiegen, wirkte er plötzlich zerstreut.
Unsere Unterhaltung beschränkte sich auf wenige Floskeln. Er griff nach meiner Hand und hielt sie auf der Ablage zwischen uns fest – eine ungewöhnliche Geste. Was war nur los? Ich hatte ernsthaft darüber nachgedacht, ihn zu bitten, mit auf mein Zimmer zu kommen, aber als er den Freeway verließ und die Temple Street entlangfuhr, war ich mir schon nicht mehr so sicher.
»Bitte versteh mich nicht falsch, Rachel, aber ich möchte mit dir reden, ohne dass die Massen um uns herumspringen«, sagte Graden plötzlich ernst. »Wäre es okay, wenn wir auf dein Zimmer gehen?«
Selten einen so plumpen Vorwand gehört, würde ich normalerweise witzeln, aber sein Tonfall legte nahe, dass er das gar nicht gut aufnehmen würde. Was zum Teufel war nur los? Wollte er mich verlassen? Hatte es in seiner Familie einen Todesfall gegeben? War er unheilbar krank oder ein böser Zwilling von Graden? Lauter Fragen schossen mir in den Sinn, und keine davon war erfreulich.
»Klar«, sagte ich. »Sicher.«
Da ich es schnell hinter mich bringen wollte, kam der Aufzug natürlich nicht. Als sich nach einer Ewigkeit endlich die Türen öffneten, schob mich Graden hinein. Er ließ den Arm an meinem Rücken ruhen und sah mich sanft an. Ich erwiderte seinen Blick, sah dann aber hastig weg, in höchstem Maße verwirrt.
Schweigend gingen wir zu meinem Zimmer am Ende des Korridors. Meine Bewegungen waren mir kaum bewusst, als ich öffnete und drinnen dann sofort die Fernbedienung nahm, um den Jazzsender einzustellen. Stanley Turrentine spielte Little Sheri , eines meiner Lieblingsstücke, das jetzt das knisternde Schweigen etwas erträglicher machte. Ich stellte meine Tasche auf den Stuhl am Fenster, knöpfte meinen Mantel auf und ging zum Sofa. Graden nahm mir den Mantel ab. Als wir nebeneinander auf dem Sofa saßen, griff er nach meiner Hand. Irgendwann begann er zu reden, und seine Worte waren das Letzte, was ich erwartet – oder gerne gehört – hätte.
»Ich würde gerne mit dir über Romy sprechen, Rachel.«
36
A ls ich den Namen meiner Schwester hörte, spürte ich einen schmerzhaften Stich im Herzen, und meine Kehle schnürte sich zusammen. In meiner Panik vergaß ich beinahe zu atmen. Als ich schließlich nach Luft schnappte, war mir schwindelig, und meine Ohren rauschten in einer Weise, dass ich nichts mehr hörte. Graden wirkte besorgt und sagte irgendetwas.
»Was?«, fragte ich verwirrt und desorientiert.
Woher wusste er von Romy? Ich atmete tief durch und zwang mich zur Ruhe, damit seine Laute die Gestalt von Worten wiedergewannen.
»… wollte einfach mehr über dich wissen. Ich hätte dich wohl besser selbst fragen sollen.« Er machte eine Pause und starrte aus dem Fenster. »Mich beschäftigt der Gedanke, dass der Fall nicht ungelöst bleiben müsste. Ich weiß, dass die Polizei dort oben alles Menschenmögliche getan hat, aber uns stehen einfach mehr Mittel zur Verfügung. In einem solchen Fall würde ich doch Hilfe vom FBI bekommen, verdammt …«
Ich krümmte mich innerlich zusammen und gab mir Mühe, die Worte nicht zu Bildern werden zu lassen, aber es war zwecklos. Die Räder drehten sich bereits und rissen mich mit, und der Tag, der seit Ewigkeiten unterhalb der Bewusstseinsschwelle lauerte, spielte sich zum tausendsten Mal in all seinen herzzerreißenden Details vor meinem inneren Auge ab.
Es war der Tag, an dem ich sieben wurde. Romy war ungewöhnlich ruhig für eine Elfjährige. Schon von Geburt an war sie vorsichtig und geduldig gewesen und damit ein echter Gegenpart zu meinem impulsiven, leichtsinnigen Wesen. Und anders als die großen Geschwister meiner Freunde war Romy nie genervt, wenn ich mich ständig in den Vordergrund spielen zu müssen
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