Toedlicher Hinterhalt
Terroristen gesichtet – mehr als einen?«
»Oh, ja, der heutige Abend war scheiße.« Er zuckte zusammen. »Sorry.«
»Ich kenne des Wort«, gab sie lapidar zurück. »Ich benutze es sogar gelegentlich. Und die anderen Ausdrücke auch, und … Erzähl mir einfach, was heute Abend passiert ist.
Er lieferte ihr einen sachlich-trockenen Bericht im Stil eines Reporters, als stünden seine Karriere und sein Leben nicht kurz vor der Zerstörung. Der Lebensmittelladen. Der Mann mit dem tätowierten Augapfel auf der Hand. Es war ziemlich mutig, die eigenen Leute mit einem sichtbaren Mal zu versehen, aber so etwas gehörte immer dazu, wenn man sich mit diesem Kaufmann einließ. Offenbar erschraken die meisten Leute schon zu Tode, wenn sie das Tattoo nur sahen.
Während Tom weitersprach, schloss Kelly die Augen und stellte sich vor, wie er hinter einem Mann auf einem Fahrrad hergelaufen war, und das so kurze Zeit nach seinem Krankenhausaufenthalt wegen einer Kopfverletzung, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Er beschrieb das Schwindelgefühl und den Tunnelblick, die plötzlich auf dem Jahrmarkt aufgetreten waren.
»Auf einmal merke ich, dass ich von lauter Menschen umgeben bin, die alle das Mal des Kaufmanns auf dem Handrücken haben. Es war wie in einem Albtraum, Kelly. Eine Minute lang dachte ich, ich wäre komplett irre geworden.«
Allein von der Erinnerung daran zitterten ihm die Hände. Kelly konnte nicht anders und ergriff sie.
»Und dann wurde mir klar«, erzählte er, und seine Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern, »dass es sich um kein Tattoo, sondern einen Stempel vom Jahrmarkt handelte. Ich nehme an, dass der Kerl bei Honey Farms – also, dass das Mal auf seiner Hand auch nur ein Stempel war. Ich sehe etwas, und mein Gehirn verwandelt es in etwas anderes, etwas Böses. Das klingt verdammt noch einmal ziemlich paranoid, oder?« Seine Stimme bebte. »Und wenn das der Fall ist, dann hat Admiral Tucker recht damit, mich rauswerfen zu wollen. Bei den SEAL s gibt es dann keinen Platz mehr für mich.«
Er hatte ihre Hand fest gedrückt gehalten, lockerte seinen Griff jedoch auf einmal. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte mich dir gegenüber nicht total krank verhalten.«
Er versuchte, seine Hand wegzuziehen, doch Kelly ließ ihn nicht los. »Du verbringst schrecklich viel Zeit damit, dich bei mir zu entschuldigen.«
Tom nickte. »Ich verspüre den überwältigenden Drang, mich deswegen bei dir zu entschuldigen, aber irgendwie vermute ich mal, das wäre falsch.«
Kelly lachte, verspürte jedoch ein beklemmendes Gefühl. Abermals stand sie kurz davor, in Tränen auszubrechen. Schon wieder … Wie oft konnte ein Mensch denn in einer Nacht heulen? Sollte es nicht so etwas wie ein tägliches Höchstmaß an emotionalen Ausbrüchen geben? Andererseits war über die Jahre hinweg wahrscheinlich ein ganzer Lebensvorrat an aufgestauten Gefühlen zusammengekommen, weil sie diese sowohl bei ihrem Vater als auch später bei Gary nie herausgelassen
hatte.
Und nach allem, was Tom ihr gerade berichtet hatte, erschien es ihr auch unpassend, zurückhaltend zu bleiben. Sie hob eine Hand und berührte sein Gesicht. »Danke, dass du mir das alles erzählt hast«, sagte sie sanft. »Ich werde es niemandem verraten – nicht einmal Joe. Das verspreche ich dir. Es sei denn, du möchtest es.«
Seine Haut war warm und seine Wange fühlte sich rau unter ihrer Handfläche an. Zwar hatte er sich am Morgen rasiert, doch das lag nun schon Stunden zurück.
»Kelly, du hast ganz sicher alles mitbekommen, was ich gerade gesagt habe? Ich bin vermutlich irre. Und in achtundzwanzig Tagen werde ich arbeitslos sein, wahrscheinlich auch noch obdachlos. Ich wohne auf der Militärbasis, also werde ich dort ausziehen müssen und –«
»Aber du bist nicht allein«, entgegnete sie. »Ich werde dir helfen. Ich kenne einen der besten Neurochirurgen Bostons. Der ganzen Welt . Er ist brillant – du kannst ihm vertrauen, versprochen. Wenn du möchtest, gehe ich mit dir zu ihm. Er setzt gleich morgen früh ein CT für dich an und –«
»Aber du bist doch Medizinerin. Ich vertraue dir .«
Oh Gott! »Ich kann nicht deine Ärztin sein. Du brauchst einen Spezialisten. Abgesehen davon, möchte ich es auch gar nicht. Ich möchte …«
Kelly dachte nicht nach, überlegte sich keinen Plan, nahm nichts vorweg, analysierte nichts, sondern beugte sich einfach vor und küsste Tom Paoletti.
Seine Lippen fühlten sich warm und unvorstellbar
Weitere Kostenlose Bücher