Tödlicher Irrtum
wüsste zwar nicht, aus welchem Grund, aber sie ist ein leidenschaftliches und vielleicht ein bisschen unausgeglichenes Mädchen.«
»Diese Lindstrom kennt das Mädchen natürlich viel besser als wir.«
»Das ist nur zu richtig… Dann wäre noch Tina in Betracht zu ziehen; sie arbeitet in der Bibliothek in Redmyn.«
»Wenn ich mich recht entsinne, war sie in dieser Nacht nicht im Sonneneck?«
»Stimmt, aber ich habe sonderbarerweise das Gefühl, dass sie etwas weiß.«
»Weiß sie etwas – oder ahnt sie nur etwas?«
»Schwer zu sagen, jedenfalls macht sie auf mich einen nervösen Eindruck.
Dann wäre noch der andere Sohn zu erwähnen – Micky –, auch er war nicht im Haus, aber er war allein in seinem Wagen unterwegs. Er behauptet, auf einer Probefahrt in der Gegend des Moors und der Nähe von Minchin Hill gewesen zu sein. Allerdings kann niemand diese Aussage bestätigen. Er hätte hinüberfahren, ins Haus gehen, sie erschlagen und wieder fortfahren können.
Gwenda Smith sagte etwas, das nicht im ursprünglichen Protokoll vermerkt war. Sie erinnerte sich, dass ein Wagen beim Eingang der Sackgasse an ihr vorbeigefahren war. In dieser Straße stehen vierzehn Häuser; der Wagen kann zu jedem dieser Häuser gefahren sein, und niemand wird sich nach zwei Jahren daran erinnern.
Immerhin wäre es möglich, dass es Mickys Wagen war.«
»Und warum hätte er seine Adoptivmutter töten sollen?«
»Uns ist kein besonderer Grund bekannt, aber er mag einen gehabt haben.«
»Wer könnte das wissen?«
»Die ganze Familie«, erwiderte Huish, »aber sie würden es uns nicht sagen – jedenfalls nicht mit Absicht.«
»Sehr schwierig«, meinte der Oberkommissar. »Haben Sie weitere Schlachtpläne, Huish?«
Huish zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Ich glaube, es wäre keine schlechte Idee, wenn ich mir Miss Lindstrom noch einmal vornehmen würde. Und auch mit dem gelähmten Philip Durrant müssen wir uns noch etwas eingehender befassen.«
»Was halten Sie von ihm?«
»Ich glaube, dass er seine eigene Theorie hat. Allerdings scheint er nicht den Wunsch zu haben, sie mir mitzuteilen, aber vielleicht gelingt es mir doch, etwas aus ihm herauszuholen. Er ist ein intelligenter Bursche und ein guter Beobachter, er mag ein paar interessante Feststellungen gemacht haben.«
»Komm, lass uns ein bisschen frische Luft schnappen, Tina.«
Tina blickte zu Micky auf und sagte:
»Aber es ist doch so kalt, Micky.«
»Ich glaube, du hasst frische Luft, Tina, sonst könntest du es ja auch nicht aushalten, den ganzen Tag in der Bibliothek eingesperrt zu sein.«
Tina lächelte. »Im Winter bin ich ganz gern in einem warmen Zimmer.«
»Ein bisschen frische Luft wird dir bestimmt gut tun, Tina. Ich möchte mit dir sprechen und versuchen, das Polizeiverhör und die ganze unerfreuliche Angelegenheit im Freien zu vergessen.«
Tina streckte sich und stand mit graziösen, katzenhaften Bewegungen auf. In der Diele zog sie ihren Mantel an und knöpfte den Pelzkragen zu.
»Ziehst du dir keinen Mantel an, Micky?«
»Nein, mir macht die Kälte nichts aus.«
»Beneidenswert! Ich kann dir nicht sagen, wie ich dieses Land im Winter hasse; ich wünschte, ich könnte in einem warmen, südlichen Klima leben.«
»Mir ist gerade eine Stellung bei einer Ölgesellschaft im Persischen Golf angeboten worden«, verkündete Micky.
»Nimmst du sie an?«
»Nein, ich glaube nicht… Wozu?«
Sie gingen zur Rückseite des Hauses; von dort führte ein gewundener Pfad zu dem schmalen Strand am Fluss. Auf halbem Weg stand ein kleines, windgeschütztes Sommerhäuschen. Sie setzten sich nicht sofort hin, sondern standen einen Augenblick davor und blickten auf den Fluss hinunter.
»Ist es nicht wunderschön hier?«, fragte Micky.
»Ja, eigentlich ist es ganz schön«, erwiderte sie.
»Aber du machst dir nicht viel draus, hab ich recht, Tina?«
»Vielleicht; übrigens ist es mir in all den Jahren niemals aufgefallen, dass du die Schönheiten dieser Gegend sehr genießt. Du hast dich immer nur danach gesehnt, nach London zurückzukehren.«
»Das war etwas anderes, ich gehöre nicht hierher«, sagte Micky kurz.
»Also das ist es – du glaubst, nirgendwo hinzugehören.«
›»Nirgendwo hinzugehören‹ – vielleicht hast du Recht, Tina – eigentlich ein furchtbarer Gedanke.«
Nach kurzem Schweigen sagte Tina: »Warum kannst du sie nicht vergessen, Micky?«
»Vergessen? Von wem sprichst du?«
»Von deiner Mutter.«
»Das ist nicht so
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