Tödlicher Kick
keine Auffälligkeiten, nichts, was auf Gewalteinwirkungen hindeutet.« Sie lächelte mich aufmunternd an. »Alles in Ordnung.«
»Geschlechtsverkehr in den letzten vierundzwanzig Stunden?«, wollte Danner es genau wissen.
»Kleinen Moment.« Sie präparierte ein Stückchen Glas und schob es unter ein Mikroskop. »Ungeschützt ist da jedenfalls nichts passiert.«
Ich schloss erleichtert die Augen.
»Wieso weiß ich nichts von der Metallplatte in deinem Unterkiefer?«, brummte Danner vorwurfsvoll, kaum dass wir das Arztzimmer der Gynäkologin verlassen hatten.
Ich blieb abrupt stehen.
Ach ja, wir hatten ja noch eine Rechnung offen. Wenn er mich nicht rausgeschmissen hätte, wäre mir nicht nur das Schädelröntgen, sondern auch die Angst, vergewaltigt worden zu sein, erspart geblieben. Und eine Menge Kopfschmerzen.
Beinahe hätte mich ein Aquarium auf Rädern gerammt, das eine junge Patientin im Schleichschritt den Flur der gynäkologischen Station entlangschob. In dem Plastikkasten schlummerte ein winziger Säugling. Sie manövrierte ihn um mich herum.
»Du hast nicht gefragt«, antwortete ich. Ich konnte mir den ätzenden Unterton nicht verkneifen. »Du weißt schon, diese lästige Sache, bei der man nachdenken und den Mund bewegen muss. Ich nenne sie reden.«
Danner verdrehte die Augen.
»Hältst du nichts von, hab ich kapiert. Du schmeißt mich lieber raus.«
»Entschuldigung, dürfen wir mal vorbei?« Ein dünner Krankenpfleger schob ein Bett auf uns zu. Darin saß ein Opa, der auf dieser Station so gar nichts zu suchen hatte, und glotzte auf meinen Hintern.
»Mann, Lila«, sagte Danner müde. »Ich war besoffen, mir ging es beschissen und du hast es auf einen Streit angelegt.«
»Ach ja!« Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn. »Ich hab’s ja auf den Streit angelegt. Wie dämlich von mir, dass ich nicht meine Klappe gehalten habe.«
Danner schwieg.
»Probleme totsaufen, bis es knallt. Ist ja echt erwachsen, Herr Danner.«
»Hast ja recht«, gab er widerwillig zu.
Wie bitte?
Ich rüttelte an meinem Ohrläppchen: »Ich glaube, ich hör heute nicht gut. Liegt vielleicht am Schlag auf den Kopf.«
»Es tut mir leid«, wiederholte Danner so laut, dass sich der Opa im Pflegebett am Ende des Flures noch mal nach uns umsah.
»Ich bin ein Pappkopp, ist genetisch bedingt. Ich kann verstehen, dass du keinen Bock mehr auf mich hast, aber ich will trotzdem, dass du zurückkommst. Wenn’s unbedingt sein muss, erzähle ich dir meine Lebensgeschichte, von der Windel, über meine verschwundene Mutter und Klara, die Schlampe, bis zu Vanessa, Annamaria, Simone und Ella.«
Ich tippte mir an die Stirn.
»Als kleiner Junge hatte ich lange, blonde Locken«, köderte mich Danner.
»Und ich konnte mit Meerschweinchen jonglieren«, knurrte ich nicht mehr ganz uninteressiert.
»Ungelogen«, versicherte Danner. »Mit fünfzehn bin ich mal festgenommen worden, weil ich außen am Förderturm des Bergbaumuseums hochgeklettert bin. Und meinen Mofaführerschein musste ich abgeben, weil meine Kiste siebzig Sachen machte.«
»Blonde Locken?«, siegte meine Neugier über meinen Stolz.
»Es existieren Beweisfotos«, grinste Danner.
Eine weitere Mutter mit Aquarium hatte seine Worte gehört und blieb interessiert stehen.
»Und gibst du endlich zu, dass es dir nicht am Arsch vorbeigeht, dass dein Vater stirbt?«, erkundigte ich mich angriffslustig.
Danner zuckte zusammen.
Keine Antwort. Schon wieder.
»Dann kannst du die Kinderfotos stecken lassen.«
Danner sah sich um, als suchte er ein Fluchtwegschild, das ihm die Richtung zum Notausgang wies.
23.
Vierundzwanzig Minuten, siebzehn Sekunden.
So lange hatten wir bis nach Hause gebraucht, weil wir bis in die Humboldtstraße zu Fuß gehen mussten. Unser Triumph hatte immer noch quer in einer Feuerwehrzufahrt des zum Bordell umfunktionierten Wohnhauses gestanden.
Seit wir das Krankenhaus verlassen hatten, hatte ich kein Wort gesagt. Mal sehen, wie lange Danner das große Schweigen durchhielt.
Alles an mir fühlte sich schmutzig an. Noch bevor Danner die Wohnungstür hinter uns geschlossen hatte, zog ich mein Shirt über den Kopf, streifte die Jeans von den Hüften und verschwand im Bad.
Eine Sekunde lang blieb ich in der Tür stehen und bewunderte den Kontrast zu Esmeraldas Whirlpoollandschaft. Unser Bad war schon in den Siebzigern nicht mehr modern gewesen. Die größtenteils kaputten, beigefarbenen Fliesen ließen den Raum kleiner wirken, als er sowieso war.
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