Tödlicher Mittsommer
Simon verbracht, der sehr an seinem Patenonkel hing. Er schien instinktiv zu verstehen, dass Thomas einen großen Kummer mit sich herumtrug, obwohl er nicht darüber sprach.
»Hast du mal wieder was von Pernilla gehört?«, fragte Nora vorsichtig.
»Nicht viel. Zu Mittsommer hat sie mir eine Ansichtskarte aus Halmstad geschickt. Das war nach Monaten das erste Lebenszeichen. Wir haben so gut wie keinen Kontakt mehr.«
»Vermisst du sie?«
Thomas stützte das Kinn in die Hand. Sein Blick richtete sich in die Ferne. Es vergingen etliche Sekunden, bevor er antwortete.
»Ich vermisse das Zusammenleben mit ihr. Die Gemeinschaft, das Wir-Gefühl. Kleinigkeiten wie die Gewissheit, dass jemand auf einen wartet, wenn man spät von der Arbeit kommt. Jetzt könnte ich genauso gut auf der Wache übernachten.«
Er hob die Tasse an den Mund, während ein Schatten über sein Gesicht glitt.
»Es merkt ja doch keiner, ob ich nach Hause komme oder nicht. Vielleicht sollte ich mir einen Hund anschaffen«, sagte er sarkastisch.
»Denkst du oft an das, was passiert ist?«
Nora spürte, wie ihre Augen gegen ihren Willen feucht wurden. Sie hatte Emilys Tod ebenfalls sehr schwergenommen. Es war eine unerträgliche Vorstellung, die eigene kleine Tochter kalt und leblos im Bett zu finden, wenn man morgens aufwachte.
Sie schluckte und trank schnell einen Schluck Wein, um die Tränen am Überlaufen zu hindern. Es schien nicht so, als hätte Thomas etwas gemerkt. Er sprach weiter, eigentlich mehr zu sich selbst.
»Manchmal frage ich mich, wie Emily jetzt wohl aussähe, wenn sie noch leben würde. Wenn ich an sie denke, sehe ich sie als Baby vor mir, aber sie wäre ja inzwischen ein kleines Mädchen, könnte laufen und sprechen.« Er schüttelte sachte den Kopf. »Es hat nicht sein sollen, dass Emily aufwächst.«
Seine Stimme klang ein wenig erstickt, er trank hastig einen Schluck Kaffee und dann noch einen.
»Wenn ich deine Jungs sehe, könnte ich richtig eifersüchtig werden. Sie sind solche Prachtburschen. Simon ist fantastisch.«
Nora legte tröstend eine Hand auf seine.
»Du wirst eine neue Chance bekommen, eine eigene Familie zu gründen. Du bist eine gute Partie, glaub mir. Ganz sicher wirst du eines Tages eine Frau kennenlernen und mit ihr Kinder haben.«
Thomas lächelte schief über Noras Zuspruch. Dann zuckte er die Achseln.
»Das ist mir im Moment gar nicht so wichtig. Mir genügt meine eigene Gesellschaft. Ich komme zurecht. Außerdem seid ihr, du und deine Familie, mir eine große Stütze, nur dass du es weißt. Ich bin sehr, sehr froh darüber.«
»Du bist uns jederzeit willkommen«, sagte Nora aufmunternd und schenkte den letzten Rest Wein in ihre Gläser.
»Und wie kommt ihr mit den Ermittlungen voran?«
»Weit und breit kein Land in Sicht«, seufzte Thomas. »Das ist wirklich merkwürdig. Zwei Ermordete innerhalb weniger Tage. Als wäre einer dieser englischen Sommerkrimis, die immer im Fernsehen laufen, plötzlich Realität geworden. Fehlt nur noch ein englischer Inspector mit Pfeife.«
Thomas lachte, wurde aber gleich wieder ernst.
»Wir wissen ja nicht mal, ob beide ermordet worden sind. Bisher steht nur fest, dass Kicki Berggren umgebracht wurde. Von ihrem Cousin wissen wir nicht mehr, als dass er ertrunken ist. Man darf keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
Nora gab nicht auf.
»Ist doch klar, dass es da einen Zusammenhang geben muss. Die Frage ist nur, welchen Grund jemand haben könnte, Cousin und Cousine umzubringen, beide aus Bandhagen. Sie müssen in irgendwelche dunklen Geschäfte verwickelt gewesen sein, meinst du nicht?«
Nora gestikulierte resolut mit ihrem Löffel.
»Ich werde den Gedanken an dieses Fischernetz nicht los. Wie passt das ins Bild?«
»Keine Ahnung. Möglicherweise ein reiner Zufall. Es ist ja überhaupt nicht sicher, dass das Netz jemandem aus Sandhamn gehört. Wie gesagt, es könnte auch jemandem von den Inseln im Umkreis gehören.«
Nora nickte.
»Wie sah das Netz eigentlich aus?«
»Abgenutzt und zerrissen. Aber es hat ja auch monatelang im Wasser gelegen, da ist das wohl kein Wunder.«
»Vielleicht war es alt? Netze kann man viele Jahre verwenden, solange man sie pflegt und flickt, wenn sie kaputt sind«, sagte Nora nachdenklich. »Vielleicht hatte es schon etliche Jahre auf dem Buckel. Ein Netz einer älteren Generation.«
Ihr kam plötzlich eine Idee. Sie beugte sich eifrig zu Thomas.
»Es gab tatsächlich mal jemanden in Sandhamn mit den Initialen G A. Der
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