Tödlicher Ruhm
Fleisch und Blut, wie sie es nannte. Es hat mir das Herz gebrochen. Ich bin doch ihre richtige Mutter, oder? So war es abgemacht.«
»Also hat sie herausgefunden, dass ihre Mutter geisteskrank war?«
»Ich hab es ihr gesagt. Ich dachte, es wäre besser, wenn sie es von mir erfährt als von irgendeinem Beamten bei der Behörde.«
»Wurde Sally deshalb zur Adoption freigegeben? Wegen der psychischen Instabilität ihrer Mutter?«
»Sie wissen es wirklich nicht, oder? Tatsächlich nicht.« Mrs. Copple war überrascht.
»Wir wissen grundsätzlich nicht viel, Mrs. Copple. Deshalb kommen wir zu Ihnen.«
»Oje. Ich möchte es Ihnen lieber nicht erzählen. Wenn ich es tue, wird sie verdächtig, aber man kann nicht erben, was diese Frau hatte, zumindest ist es unwahrscheinlich. Ich habe mit Ärzten gesprochen. Ich habe im Internet nachgesehen.«
»Bitte, Mrs. Copple, ich würde darüber wirklich lieber hier und jetzt mit Ihnen sprechen.« Es war eine sanfte Drohung, verschleiert, aber wirkungsvoll.
»Ihre Mutter saß im Gefängnis. Sie hat jemanden ermordet... mit einem Messer. Deshalb wurde Sally zur Adoption freigegeben.«
»Was ist mit dem Vater? Hätte er sie nicht zu sich nehmen können?«
»Genau den hatte ihre Mutter ermordet.«
41. Tag 14:15 Uhr
Trisha gab sich alle Mühe, Sallys traurige Vergangenheit geheim zu halten. Wenn das herauskäme, würde die Presse Sally kreuzigen, so viel stand fest. Da sie wusste, wie leicht auf einem Polizeirevier alles Mögliche durchsickern konnte, bat sie Coleridge, ihm unter vier Augen erzählen zu dürfen, was sie herausgefunden hatte.
»Nichts deutet auf einen Missbrauch oder daraufhin, dass er sie provoziert hat«, sagte Trisha. »Nach allem, was man hört, war Sallys Vater ein anständiger Mann, wenn auch eher schwach. Ihre Mutter war verrückt, und eines Abends ist sie einfach ausgerastet.«
»Wieso ist sie ins Gefängnis gekommen?«, fragte Coleridge. »Offensichtlich war die Frau doch krank.«
»Seniler Richter? Unfähige Verteidigung? Wer weiß, aber die Staatsanwaltschaft hat es geschafft, sie als zurechnungsfähig verurteilen zu lassen. Vielleicht lag es daran, dass sie schwarz war. Schließlich ist es zwanzig Jahre her. Jedenfalls hat sie lebenslänglich bekommen.«
»Aber natürlich ist sie in Berufung gegangen.«
»Natürlich, und hat auch gewonnen, leider aber erst, nachdem sie zwei andere Häftlinge mit einem zurechtgefeilten Kantinenlöffel erstochen hatte. Daraufhin kam sie in ein Krankenhaus für geisteskranke Kriminelle, wo sie noch immer lebt. Kurz bevor ihr Vater ermordet wurde, war Sally auf die Welt gekommen, und ich denke, dass man heutzutage vielleicht eine Verbindung zu postnataler Depression sehen würde oder irgendwas, aber damals hat man sie einfach eingesperrt und Schluss. Heute könnte sie offenbar nur noch in einer Anstalt leben. Sally hat es vor etwa zwei Jahren rausgefunden und sie besucht. Hat sie ziemlich erschüttert.«
»Kann ich mir vorstellen. Hat Sally psychische Probleme?«
»Ja, Depressionen, und zwar schon seit der Pubertät. Hat reichlich Medikamente bekommen und wurde einmal eingewiesen. Die Adoptivmutter meint, es hing wohl alles damit zusammen, dass sie mit dem Umstand fertig werden musste, lesbisch zu sein, aber ich weiß nicht, eigentlich war es nie...«
Trisha wollte gerade sagen, dass es ihr selbst nie etwas ausgemacht hatte, sondern für sie — als sie mit vierzehn endlich sicher gewesen war, lesbisch zu sein — eine unendliche Erleichterung dargestellt hatte, da es die schreckliche Verwirrung im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Jungs erklärt hatte. Aber sie beschloss, den Satz nicht auszusprechen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.
»Aus welchem Grund auch immer, aber Sally hatte definitiv Probleme mit Depressionen, und seit sie das mit ihrer Mutter herausgefunden hat, macht sie sich Sorgen, sie könnte genauso werden.«
»Und wie wahrscheinlich ist das? Ich meine, medizinisch betrachtet?«
»Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ausflippt, ist größer als — sagen wir — bei Ihnen oder bei mir. Signifikant wird die Gefahr erst dann, wenn beide Eltern krank sind. Manche Arzte sagen, dann steige sie bis auf fast vierzig Prozent.«
»Wieso um alles in der Welt lassen diese blödsinnigen Peeping-Tom-Leute eine Depressive mit Geisteskrankheiten im Stammbaum überhaupt erst an so einem grotesken Experiment teilnehmen?«
»Sie behaupten, sie hätten es nicht gewusst, Sir, und ich glaube ihnen. Sally hat es
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