Tödlicher Ruhm
erschien Dervla. Auch sie hatte sich ein Tuch umgehängt und sah mindestens ebenso deplatziert aus wie Jazz, als sie die leger gekleideten Eindringlinge musterte, hinter denen die Leiche am Boden lag. Langsam, aber sicher sah es aus, als versammelte sich eine Toga-Party um einen Autounfall.
Geraldine wurde klar, dass die Lage demnächst aus dem Ruder laufen würde. Sie konnte es nicht leiden, wenn sie die Kontrolle verlor. Sie war ein klassisches Beispiel für den über Gebühr strapazierten Ausdruck: Kontroll-Freak. »Jason! Dervla!«, rief sie. »Ihr geht beide wieder ins Jungenzimmer!«
»Was ist denn los?«, fragte Dervla. Glücklicherweise konnte sie ebenso wenig wie Jazz in die Toilette sehen.
»Hier spricht Peeping Tom!«, rief Geraldine. »Es hat einen Unfall gegeben. Alle Hausbewohner bleiben im Jungenzimmer, bis sie neue Anweisungen bekommen. Rein da! Sofort!«
Erstaunlicherweise hatte sich unter den Bewohnern eine derart ausgeprägte Geiselmentalität entwickelt, dass Jazz und Dervla augenblicklich taten, was man ihnen sagte, und ins Jungenzimmer umkehrten, wo die anderen gerade aus dem Schwitzkasten stiegen — aufgeheizt, unbekleidet und verdutzt.
»Was ist los?«, fragte David.
»Ich weiß nicht«, antwortete Dervla. »Wir sollen hier drinnen bleiben.«
Schließlich machte jemand aus dem Schneideraum überall im Haus Licht. Die sieben Kandidaten erstarrten buchstäblich im Scheinwerferlicht. Nackt standen sie um den überflüssigen Schwitzkasten und blinzelten einander an und griffen nach Tüchern, Decken, Handtüchern, um ihre geröteten, verschwitzten Blößen zu bedecken, wobei die Erinnerung an die zurückliegenden wilden Stunden ihre erhitzten Gesichter nur noch dunkler anlaufen ließen. Es war, als wären sie alle vierzehn Jahre alt und ihre Eltern hätten sie bei einer Massenknutscherei erwischt.
»Oh, mein Gott, wir sehen so was von dämlich aus«, stellte Dervla fest.
Draußen übernahm Geraldine das Kommando. Später waren sich alle einig, dass sie, nachdem der Schock überwunden war, mit bemerkenswert kühlem Kopf gehandelt hatte.
Nachdem die sieben Bewohner nebenan waren, gab sie allen Anweisung, sich auf demselben Weg, den sie hereingekommen waren, wieder zurückzuziehen, um jede weitere Verfälschung des Tatortes zu vermeiden.
»Wir stellen uns in den Kameragang«, sagte sie, »und warten auf die Bullen.«
28. Tag 6:00 Uhr
Als Coleridge sechs Stunden später den Tatort verließ, wurde es an einem für diese Jahreszeit ungewöhnlich düsteren und regnerischen Morgen langsam hell.
Mordwetter, dachte er. Ständig schienen seine Mordermittlungen im Regen stattzufinden. Das stimmte natürlich nicht, ebenso wenig wie seine Sommerferien als kleiner Junge stets nur von Sonnenschein gesegnet gewesen waren. Nichtsdestoweniger vertrat Coleridge die vage Theorie, dass atmosphärischer Druck eine Rolle beim Entfachen des mörderischen Funkens spielen konnte. Seiner Erfahrung nach fanden vorsätzliche Morde eher drinnen statt.
Jenseits der Polizeiabsperrung blitzten Hunderte von Kameras. Einen Moment lang fragte sich Coleridge, wer wohl von derart großem Interesse sein mochte, ehe ihm klar wurde, dass sie auf ihn gewartet hatten. Er bemühte sich, nicht wie jemand auszusehen, der wusste, dass er fotografiert wurde. Coleridge lief durch den silbrigen Nebel des halbherzigen Regens und flackernden Blitzlichtgewitters zu seinem Wagen.
Hooper erwartete ihn mit einem Packen Morgenzeitungen. »Es steht fast überall dasselbe«, sagte er.
Coleridge überflog die acht Gesichter, die auf sämtlichen Titelseiten prangten, von denen eines ein Stück abseits abgebildet war. Die dazugehörigen Personen hatte er eben kennen gelernt. Alle bis auf Kelly natürlich. Einen Leichnam konnte man nicht kennen lernen. Als er sich die arme junge Frau ansah, die dort eingerollt auf dem Toilettenboden lag und mit einem Küchenmesser im Kopf in ihrem eigenen, mittlerweile schwarz geronnenen Blut festklebte, spürte Coleridge, wie dringend er diesen Mörder fassen wollte. Solche Gräueltaten konnte er nicht leiden. Er würde sich nie daran gewöhnen. Sie machten ihm Angst und ließen ihn seinen Glauben in Frage stellen. Denn wie konnte ein Gott, der noch bei Sinnen war, so etwas zulassen? Natürlich weil er auf wundersame Weise handelte. Das war der Punkt. Gottes Wege waren unergründlich. Man sollte sie nicht verstehen. Dennoch fiel es in seinem Job gelegentlich schwer, noch Gründe für den Glauben zu
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