Toedliches Geheimnis
Mittagessen treffen, als Matt mir von irgendwoher über den Weg läuft.
»Achtundneunzig«, strahlt er.
»Häh?«, frage ich und mache ein verwirrtes Gesicht.
»Im Französisch-Test«, erklärt er und klopft sich selbst auf die Schulter. »Fast wären es hundert Punkte geworden, aber das mit dem le-la-männlich-weiblich hab ich vermasselt.«
»Das ist ja super«, sage ich. »Ich meine die achtundneunzig.«
»Und, wo hast du gesteckt? Ich hab versucht, dich anzurufen, weil ich dir die gute Nachricht mitteilen wollte.«
»Stimmt«, sage ich, und mir fällt plötzlich wieder ein, dass meine Mutter sagte, er hätte versucht, mich zu erreichen. »Irgendwie war in der letzten Zeit total viel los.«
»Irgendwas Bestimmtes, das du mir erzählen möchtest?«
Ich schüttele den Kopf und linse über seine Schulter hinweg zu Kimmie und Wes, die bereits auf unserm Stammplatz sitzen.
Ich winke, und Kimmie streckt den Daumen in die Höhe, aber Wes scheint nach unserem letzten Gespräch immer noch beleidigt zu sein und nickt mir nur knapp zu, der wohl jämmerlichste Versuch eines nonverbalen Grußes, den es jemals gegeben hat.
»Also, tut mir leid, wenn ich frage«, fährt Matt fort, »aber wäre es vielleicht möglich, dass du mir auch für den nächsten Test noch mal hilfst? Ich meine, ich weiß, dass es nervig ist für dich, also, wenn du willst, dann bezahl ich dir das auch.«
»Nein«, sage ich. »Das ist schon okay.«
»Bist du sicher?«
Er labert immer weiter - irgendetwas, dass er nicht will, dass seine Noten schlechter werden, und von irgendeinem Stipendium, um das er sich bewerben will. Ich höre ihm nur mit halbem Ohr zu.
Denn gerade ist Ben hereingekommen.
Er setzt sich in die Ecke, aber er isst nichts. Stattdessen schlägt er ein Buch auf und fängt an, etwas zu schreiben, aber ich merke, dass er nur so tut, denn er starrt mich jetzt direkt an.
»Bist du immer noch auf den Typen fixiert?«, fragt Matt, der meinem Blick gefolgt ist.
Ich schüttele den Kopf. Ich will ihm gar nicht erzählen, dass wir sogar schon ein Date hatten, vor allem auch deswegen, weil ich bezweifle, dass es noch irgendwie weitergehen wird. »Ich vermute, mir war nur nicht klar, dass er jetzt Mittagspause hat«, sage ich fast stotternd.
»Wahrscheinlich weil er sowieso fast alle seine Mittagspausen in der Bibliothek verbringt - jedenfalls hab ich
das gehört. Ich hab übrigens auch gehört, dass die Eltern wie verrückt in der Schule anrufen, um zu erreichen, dass er rausfliegt.«
»Echt?««
»Das ist doch kein Geheimnis. Hast du noch nicht von dieser Neuen gehört - Dorothy oder Daisy oder so was...? Sie sagt, er wäre ihr neulich gefolgt. Sie hat eine Riesenszene daraus gemacht - hat angefangen zu weinen und gesagt, dass ihre Eltern ihn verklagen würden. Alle wollen, dass er verschwindet.«
»Scheint so«, sage ich und deute auf John Kenneally mitsamt einigen seiner Fußball-Kumpel. Sie stehen alle zusammen nur ein kleines Stück hinter Ben.
»Was, glaubst du, haben sie vor?«, fragt Matt.
Ich schüttele den Kopf, während John mit dem Suppenteller in der Hand zu Ben hinübergeht. Direkt hinter ihm bleibt er stehen und wartet auf mehr Aufmerksamkeit.
Und es funktioniert. Die Leute fangen an zu kichern. Sein Gefolge zeigt auf ihn. Mr Muse, der Sportlehrer, wendet ihm den Rücken zu und tut, als würde er nichts sehen.
John hebt den Teller hoch über Bens Kopf.
»Nein!«, rufe ich von irgendwoher tief in meinem Inneren - ich habe keine Ahnung, ob das Wort wirklich nach außen dringt.
Als Ben aufmerksam wird, ist es bereits zu spät. John hat die Tomatensuppe über Bens Hemd gekippt. Ein mattroter Fleck bedeckt Bens Brust, als würde er verbluten.
Irgendjemand ruft, Ben hätte wohl noch eine Freundin ermordet. Jemand anders spuckt die Worte Killer go boje
aus. Und alle beglückwünschen John Kenneally und seine Anhänger.
Aber Ben wehrt sich nicht. Er wischt sich nur das Hemd ab und bleibt sitzen, als würde ihm all das gar nichts ausmachen.
Aber mir macht es etwas aus.
Und so schnappe ich mir, ohne viel darüber nachzudenken, einen Stapel Servietten und gehe zu seinem Tisch. »Darf ich mich zu dir setzen?«, frage ich Ben und sitze, noch bevor er mir antworten kann.
»Ich glaube, ich bleib nicht mehr lange hier«, sagt er.
»Du wirst denen doch nicht etwa nachgeben, was?«, sage ich mit einer Kopfbewegung zu John und seinen Freunden, zu denen auch Davis Miller, mein Gitarre spielender Nachbar, gehört. Davis
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