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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu. Xiaolong
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Fasziniert betrachtete er die tiefroten Wolken über dem fernen Zickzack der Hügelkette. Einer emporschießenden Flamme gleich vergoldeten sie die Wasserfläche. Nie war ihm der See eindrucksvoller erschienen; mit diesem von niemandem gewürdigten, grandiosen Naturschauspiel schien er sich gegen seine fortschreitende Vergiftung wehren zu wollen …
    Anschließend war Chen außerstande, weiter an seinem unvollendeten Gedicht zu arbeiten. Er speicherte die bisher entstandenen Zeilen in seinem Laptop, ohne zu wissen, wann er die Kraft haben würde, sie zu vollenden.
    Aber das machte nichts. Wieder dachte er an Shanshan und ihre Äußerung über die Bedeutungslosigkeit von Lyrik in der heutigen Gesellschaft. Er drückte die Sicherungstaste und begab sich ins Bad.
    Nachdem er geduscht und den grauen, vom Erholungsheim gestellten Bademantel angezogen hatte, machte er es sich mit einer Zigarette vor dem Fernseher bequem.
    Außer einer entscheidenden Fußballbegegnung, für die er sich nicht interessierte, gab es kaum Sehenswertes. Vom See wehte eine kühle Brise herein. Er deckte sich mit einem Badetuch zu. Vor laufendem Fernseher schlief er immer besonders gut ein. Zum Schlafengehen war es noch zu früh, aber ein kleines Nickerchen würde seinen Geist erfrischen …

16
     
    ES KLOPFTE LEISE an der Tür.
    Er musste eingedöst sein. Die meisten Gäste des Erholungsheims verbrachten den Abend vor dem Fernseher. Wer kam ihn um diese Zeit besuchen, überlegte er und rieb sich die Augen.
    Als er öffnete, stand Shanshan vor der Tür; sie trug eine kurzärmlige weiße Bluse, Jeans und Sandalen, über der Schulter hatte sie eine hellgrüne Umhängetasche.
    Sie wirkte lässig, so als käme sie gerade von einem Spaziergang am See zurück. Ein paar lose Strähnen umrahmten ihr Gesicht und ließen es trotz der dunklen Ringe unter den Augen lebhaft erscheinen.
    »Ich habe mich durch das Pförtchen reingeschwindelt, das du mir neulich gezeigt hast«, erklärte sie. »Und auf dem Gelände hat mich niemand angehalten oder gesehen.«
    Vermutlich verfolgte das Wachpersonal das Fußballspiel vor dem Fernseher.
    »Willkommen, Shanshan. Das ist aber eine Überraschung. Jetzt bin ich es, der sich für die Unordnung hier entschuldigen muss. Komm doch herein.«
    »Dann sind wir ja quitt«, sagte sie leise und trat lächelnd ein. »Nach deiner Warnung wegen des Telefons wollte ich meinen Besuch lieber nicht vorher ankündigen.«
    »Gut so, wir können nicht vorsichtig genug sein. Aber …«
    »Aber was hast du denn heute Abend so getrieben?«
    »Ach, nichts Besonderes. Ich hatte den Fernseher an, aber es kam nichts Vernünftiges.«
    »So eine prächtige Villa, Chen! Ganz für dich allein.«
    »Ich kann mich nicht beklagen. Setz dich doch.«
    »Eine Unterkunft, wie sie einem ranghohen Kader gebührt«, bemerkte sie und platzierte einen scharlachroten Drehstuhl gegenüber dem Sofa, setzte sich jedoch nicht gleich.
    »Sei nicht so sarkastisch, Shanshan. Ich gebe ja zu, dass ich hier verwöhnt werde, aber wie ich dir schon sagte, war das Arrangement ursprünglich gar nicht für mich bestimmt.«
    »Ich hab dich doch nicht aufgeweckt, oder?«
    »Nein, ich war unter der Dusche.«
    Ihr Blick, der durchs Zimmer schweifte, blieb an der zusammengeknüllten Verpackung des Fertiggerichts hängen.
    »Eigentlich sollte hier jemand für dich saubermachen.«
    »Es gibt einen sehr aufmerksamen Zimmerservice, aber ich möchte nicht ständig aus der Arbeit gerissen werden.«
    Sie warf die Verpackung in den Papierkorb unter dem Schreibtisch. Dabei berührte sie unabsichtlich die Tastatur seines Laptops. Der Monitor leuchtete auf und zeigte Chens unvollendete Zeilen.
    »Oh, du schreibst ein Gedicht.«
    »Bisher sind es nur Fragmente.« Dann fügte er spontan hinzu: »Du hast mich inspiriert.«
    »Ach komm«, erwiderte sie, beugte sich aber dennoch interessiert über den Bildschirm. »Darf ich lesen?«
    »Natürlich, aber das Gedicht ist nicht fertig, es fehlt noch der letzte Schliff.«
    Sie setzte sich und nahm einen Rotstift zur Hand, als wollte sie Korrekturen vornehmen. Er schob ihr einen Notizblock hin.
    Sie las konzentriert und nagte dabei an dem Stift; der Block blieb leer. Er stand hinter ihr und sog den Duft ihrer Haare ein.
    Es dauerte eine Weile, bis sie bei der letzten Zeile angekommen war. Dann blickte sie auf. »Das ist großartig, Chen.«
    »Nicht doch, es ist nur ein Entwurf, völlig ungeordnet.«
    »Du wirst dieses Gedicht fertig schreiben und es

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