Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
»Meist geht es um Geld, Macht oder was immer sich der Verbrecher von seiner Tat verspricht. Ich frage mich also, inwiefern Jiang von der Ermordung Lius hätte profitieren können. Überhaupt nicht. Aber jemand anders kann durchaus profitieren.«
»Wovon reden Sie?«
Sie stellt sich dumm, dachte Huang, aber er selbst war auch nicht viel klüger. Er hatte keine Ahnung, worauf Chen hinauswollte.
»Sie haben mehrere Aussagen zum Mord an Liu gemacht. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie darauf hinweisen, dass eine Falschaussage ein schweres Vergehen ist«, sagte Chen und drückte gleichzeitig den Startknopf eines kleinen Kassettenrecorders auf dem Couchtisch.
»Aber wieso? Ich habe den Beamten – darunter auch Polizeimeister Huang hier – korrekte Informationen gegeben, alles was ich wusste.«
»Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, Mi, dass Sie für Ihre eigenen Handlungen verantwortlich sind, nicht aber für die eines anderen. Sie müssen sich fragen, ob ein solches Opfer gerechtfertigt ist.«
Huang folgte dem Dialog gespannt. Chen agierte wie beim Tai Chi – er schob sein Gegenüber, anstatt zuzuschlagen. Doch Huang hatte Zweifel, dass diese Taktik funktionierte. Mi würde nicht auf den Bluff hereinfallen.
»Man nimmt so vieles für selbstverständlich«, fuhr Chen fort. »Zum Beispiel das Wasser im See. Ich erinnere mich noch an ein Lied, das seine Frische und Reinheit preist.«
»Liu hat sein Bestes getan, um die Verschmutzung einzudämmen«, erwiderte Mi. »Ich habe eng mit ihm zusammengearbeitet, ich weiß das.«
»Ja, Sie haben eng mit ihm zusammengearbeitet, im Firmenbüro wie auch in seinem Privatbüro. Also noch einmal zur Klärung: Sie sagten, dass Sie gesehen hätten, wie sich Jiang und Liu im Firmenbüro stritten. Sie nannten uns sogar ein konkretes Datum: Anfang März, am Tag vor dem Frauentag.«
»Das ist richtig.«
»Im Firmenbüro, stimmt das?«
»Korrekt. Fu hat ihn auch gesehen.«
»Damit ist die Sache für die hiesigen Beamten dann klar gewesen, zumal Ihr jetziger Chef diese Aussage bestätigt hat. Doch nach der Befragung von Jiang, der ein Treffen mit Liu im Firmenbüro abstritt, hat Polizeimeister Huang hier« – Chen wandte sich dem Genannten zu – »diesen Punkt noch einmal mit Fu abgeklärt. Und der war sich nun gar nicht mehr so sicher wegen des Datums.«
»Nein, er war sich keineswegs sicher«, bestätigte Huang, obwohl er kein zweites Mal mit Fu gesprochen hatte. Ebenso wenig, wie er sich mit Chen über ihr Vorgehen abgestimmt hatte.
»Aber ich erinnere mich noch ganz genau«, beteuerte Mi und rutschte dabei nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
»Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass Liu sich an diesem Tag geschäftlich in Nanjing aufhielt«, sagte Chen und nahm eine Kladde zur Hand, ohne sie zu öffnen. »Er kam erst spät in der Nacht zurück – genau genommen am nächsten Tag. Wir haben das im Firmenkalender und im Intranet überprüft. Außerdem kann das Hotel in Nanjing bestätigen, dass er dort erst gegen neun Uhr abends abgereist ist. Es existiert eine Fahrkarte für den Nachtzug, deren Kosten er sich hat ersetzen lassen. Auch mit Frau Liu haben wir gesprochen. Sie weiß noch, dass es heftig regnete und ihr Mann sich entschuldigte, weil er sie aufweckte. Und sie erinnert sich noch genau an das Datum, weil er ihr am nächsten Morgen ein Geschenk zum Frauentag machte.«
Huang war derart entgeistert, dass er einen Moment lang vergaß, das Spiel mitzuspielen. Wie war Chen an all diese Informationen gekommen? Zum Glück war Mi selbst so schockiert, dass sie ihn nicht beachtete. Ihr Gesicht leuchtete rot.
»Ach, dann muss ich mich wohl getäuscht haben. Das ist ja auch schon zwei Monate her, wissen Sie«, stammelte sie ausweichend. »Aber ich habe gehört, wie sich Jiang und Liu im Büro stritten.«
»Das ist eine Lüge. Aber ich weiß, dass hinter Ihnen jemand steht, der Sie zu dieser Falschaussage angestiftet hat, und Ihnen nichts anderes übrigblieb, als mitzuspielen. Außerdem haben Sie da die Folgen einer solchen Handlung noch nicht absehen können. Jedenfalls haben Sie Ihren Vorgesetzten gedeckt. Vielleicht war Ihr Urteilsvermögen wegen Arbeitsüberlastung auch ein wenig getrübt.«
»Ja, ich hatte schrecklich viel zu tun in letzter Zeit. Da kann man sich leicht mal im Datum irren. Was Jiang vorhatte, ging mich nichts an, deshalb habe ich der Sache keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es tut mir sehr leid, Oberinspektor Chen, wenn das zu
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