Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
er konnte es sich einfach nicht leisten, seine Geschäfte noch länger zu vernachlässigen. Er musste eben vorsichtig sein und bestimmte Orte und vor allen Dingen bestimmte Leute meiden. Dazu gehörten leider seine Wohnung und vor allen Dingen Oxana. Die konnte er ohnehin abschreiben.
Aber jetzt hatte er eine neue Einnahmequelle in Aussicht: schwarzgebrannter Wodka in perfekt nachgemachten Absolut -Flaschen. Äußerlich durch nichts von den Originalen zu unterscheiden. Und der Geschmack war auch nicht übel. Eine Warenprobe hatte er in seiner Jackentasche, die erste Fuhre würde in drei Tagen per Schiff eintreffen. Aufgrund der unschönen Vorkommnisse der letzten Wochen hatte er beschlossen, sich in Zukunft wieder aufs Kerngeschäft zu konzentrieren, auf die Dinge, mit denen er sich auskannte: Schnaps, Zigaretten, gefälschter Kaviar – solche Güter. Nutten waren zwar einträglich, aber es gab auch ständig Ärger mit ihnen. Und diese andere Sache... nein, das Geschäft war ihm zu dreckig. Unruhig tigerte er am Kai auf und ab. Ein scharfer Wind war aufgekommen und trieb eine Cola-Dose klappernd vor sich her. Jetzt, wo die Sonne weg war, wurde es sofort kühl. Krull stellte fest, dass er schon über eine Stunde hier herumstand. Längst hatten sich auch die allerletzten Abschiedswinker verkrümelt, nur ein Jogger hechelte vorbei. Krull zündete sich eine Zigarette an. Die noch, dann hau ich ab, dachte er. Er hörte ein Motorengeräusch. Das Rasseln eines Diesels. Ein dunkler Mercedes rollte auf ihn zu. Verdammt, das war nicht sein Kunde, das war der Mittelsmann. Was war nun wieder schiefgelaufen? In letzter Zeit schien ihm das Pech an den Hacken zu kleben wie Hundescheiße. Genauer gesagt, seit dieser üblen Geschichte mit der Kleinen.
Der Wagen hielt an, der Fahrer winkte ihn heran.
Krull stieg ein. »Was ist los?«
Sein Kompagnon wandte sich ihm zu, für einen Moment sah es aus, als wollte er Krull umarmen. Krulls Körper versteifte sich, alles in ihm sträubte sich gegen die ungewohnte Geste, aber da fuhr ihm schon der Schmerz wie ein glühendes Eisen zwischen die Rippen. Er schrie auf, tastete nach dem Türgriff, doch der andere hielt ihn am Kragen seiner Jacke fest, und Krull musste hilflos zusehen, wie sich die Messerklinge erneut in seine Brust bohrte. Er hörte sogar noch das knirschende Geräusch, das dabei entstand.
Leander wusste nicht mehr, wie er nach Hause gekommen war. Mit seinem Auto, natürlich, wie denn sonst, aber er hatte überhaupt keine Erinnerung an die Fahrt. Jetzt, da er langsam wieder zu sich kam, saß er in seinem Arbeitszimmer und starrte auf die Briefe, den ersten und den zweiten, und auf den Schuh. Tinka war nicht da, er wusste nicht, wo sie war. Sie hatte es ihm bestimmt gesagt. Er hatte den Computer hochgefahren und klickte sich durch die Dateien mit Lucies Fotos. Er tat das nicht oft, es war jedes Mal schmerzlich. Es war gut zu wissen, dass es diese Fotos gab, aber sie zu betrachten tröstete ihn nicht. Manchmal hoffte er, dass er mit der Zeit einiges vergessen könnte: die schmerzliche Erinnerung an Lucies Stimme, an ihr Lachen, an ihr Weinen. Gleichzeitig hatte er Angst, dass genau dies geschehen könnte. Es kam vor, dass irgendwo ein Kind weinte und er herumfuhr, weil er geschworen hätte, dass es wie Lucie klang. Und wie oft hatte er schon blonde kleine Mädchen angestarrt, weil ihn irgendein Detail an Lucie erinnerte. Und es könnte ja sein... Neulich hatte ihm eine Frau in einem Café angedroht, die Polizei zu rufen, sollte er nicht aufhören, ihr Kind anzustarren. Seitdem versuchte er, sich zusammenzureißen. Meistens waren die Kinder, die seine Aufmerksamkeit erregten, auch viel zu jung. Es fiel Leander schwer, sich klarzumachen, dass Lucie inzwischen fünf Jahre alt wäre, fast schon sechs. Ein Schulkind. Leander war nicht einmal sicher, ob er fünfjährige Mädchen von sechs- oder siebenjährigen unterscheiden konnte.
Hektisch klickte er sich durch die Fotos auf der Suche nach einem Bild, auf dem die roten Schuhe zu sehen sein würden. Er fand keines. Sie waren zu neu gewesen. Höchstens noch... Er ging ins Wohnzimmer, wo die Fotoalben im unteren Fach des Bücherregals standen. Die schönsten Fotos von Lucie hatten sie sich auf Papier abziehen lassen und ganz traditionell in ein Album geklebt. In diesen drei Alben befanden sich auch einige Bilder, die die Großeltern von Lucie gemacht hatten. Leanders Mutter fotografierte leidenschaftlich gerne mit einer
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