Töten Ist Ein Kinderspiel
auf sie zu.
„Sie sind sicher von der Polizei?“ Sie wischte sich die Hände an einer Schürze ab und streckte zuerst der Kommissarin ihre Rechte entgegen.
„Inge Nowak, ja. Ich ermittle im Mordfall Erika Mangold. Das ist mein Kollege Hauptkommissar Wolfram Berger.“
Die Gemeindehelferin nickte freundlich und erklärte ihnen etwas zu den Arbeiten, die gerade verrichtet wurden, doch Inge hörte nur halb zu. Sie war mit ihren Gedanken bereits wieder bei Verónica, die nicht nur aus unerfindlichen Gründen ohne ihr Wissen schon in Berlin war, sondern auch keine Anstalten gemacht hatte, sie zu begleiten. Ganz offensichtlich hatte sie gar keine Lust, mit ihr zusammen zu sein. Wahrscheinlich zog sie nur aus schlechtem Gewissen zu ihr und wollte im Grunde viel lieber ungebunden bleiben. Inge hatte es immer gewusst: Das Ganze würde über kurz oder lang nach hinten losgehen.
„Meine Kollegin ist sicher damit einverstanden.“ Berger räusperte sich.
„Ja, natürlich“, beeilte sich Inge zu sagen und schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken an Verónica zu vertreiben. Die Frau, die sich als Agnes Walter vorgestellt hatte, verschwand wieder nach hinten und Berger fragte: „Schläfst du noch?“
„Schön wär’s.“
„Was dann?“
„Ich hab ein Gespenst gesehen.“
„Wann und wo?“
„Eben am Ernst-Reuter-Platz.“
„Und ist das gut oder schlecht?“
Sie erzählte ihm kurz von ihrer Begegnung mit Verónica, und als Berger anhob zu sagen: „Könnte es nicht sein …“, unterbrach sie ihn harsch: „Es ist mir völlig egal, was du dazu denkst und was es gewesen sein könnte. Für mich ist die Sache klar. Punkt.“ Sie wühlte in ihrer Handtasche nach einem Fettstift für die Lippen. „Warum ist die Gemeindehelferin jetzt wieder abgerauscht?“
„Sie muss noch eine Ladung Lebensmittel entgegennehmen. Übrigens alles Spenden für das Mittagsmahl. Eine Art Buffet für arme Leute. Die können sich hier bedienen.“
In diesem Augenblick kam Agnes Walter auch schon wieder zurück. Die hellgrauen Haare zu einer kurzen Pagenfrisur geschnitten und mit einem strengen Zug um den Mund machte sie einen resoluten Eindruck.
„Wie gut kannten Sie Frau Mangold?“, wollte Inge Nowak wissen, als sie sich auf einer der Bänke niedergelassen hatten. Berger hatte sich unterdessen Richtung Tatort und Essenstische verabschiedet.
„Kennen ist zu viel gesagt.“ Agnes Walter strich unsicher ihre Schürze glatt. „Ich mache das hier ehrenamtlich. Na ja, und immer, wenn etwas anfällt, also heute zum Beispiel, helfe ich mit. Ich wohne gleich hier um die Ecke.“
„Ach?“ Die Kommissarin horchte auf. „Wo denn genau?“
„Schräg gegenüber vom Vordereingang, ganz oben, der gelbe Balkon mit den vielen Blumen.“
„Und wo waren Sie vorgestern zwischen 18 Uhr und 19 Uhr?“
„Zu Hause.“
„Auf dem Balkon?“
„Nein, das ist vor acht Uhr abends viel zu heiß, da scheint den ganzen Tag die Sonne drauf.“
„Das heißt, Sie haben gegen Abend niemanden in die Kirche gehen sehen?“
„Aber Frau Kommissarin, das hätte ich doch schon gesagt!“
Inge Nowak seufzte.
„Wann haben Sie Frau Mangold denn das letzte Mal getroffen?“
„Am Sonntagvormittag. Ich habe ihr geholfen, nach dem Gottesdienst aufzuräumen. Der Kirchenchor hatte gesungen, und einige sind danach noch auf einen Kaffee geblieben. Wissen Sie, Pfarrer Güllner, der eigentlich der Gemeinde vorsteht, versucht aus der Kirche eine Art Begegnungszentrum zu machen. Deshalb bieten wir dienstags Gottesdienst und Frühstück für Arbeitslose, mittwochs die Lebensmittelausgabe und sonntags Kaffee und Kuchen an. Darum muss sich natürlich jemand kümmern, und ich helfe gern dabei.“
So, wie Agnes Walter das sagte, klang es fast wie eine Entschuldigung für ihr Ehrenamt. Und in der Tat hätte Inge Nowak es lieber gesehen, wenn sich der Staat statt der Kirche in modernen Suppenküchen engagiert hätte. Wahrscheinlich tat er das sogar, aber es reichte nicht aus, jetzt, wo Nullwachstum angekündigt war und Deutschland mit 4,4 Millionen Erwerbslosen gerade einen neuen Rekordstand der Arbeitslosigkeit erreichte. Allein in Berlin waren derzeit 300.000 Menschen ohne Beschäftigung, Tendenz steigend.
„Am Sonntag war auch wieder dieser Mann da.“
„Welcher Mann?“
„Vor ein paar Wochen ist ein Mann zum Gottesdienst hier aufgetaucht. Er saß in der letzten Reihe, und am Ende hat er auf die Frau Pfarrerin gewartet. Sie war nicht besonders erfreut,
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