Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
die für dich da sind, dann ist es gut. Dann hast du eine echte Chance durchzukommen. Dann fällst du vielleicht nicht ganz so tief oder nicht ganz so hart. Aber wenn du niemanden hast …
Phil, ich hab Leute kennen gelernt, von denen die meisten sich immer noch im freien Fall befinden.
Du wärst überrascht, wie schnell aus guten Freunden entfernte Bekannte werden. Wie schnell aus nahe stehenden Verwandten Leute werden, die nichts als den Nachnamen teilen. Wenn du Pech hast, stellst du fest, dass Blut nicht so dick ist, wenn du in der Scheiße steckst. Wenn du zehn Meilen gegen den Wind wie ein Versager riechst.«
Thorne hörte Schritte und sah auf. Ein junger Mann lief mit einem orange gestreiften Verkehrsleitkegel in der Hand an der gegenüberliegenden Straßenseite vorbei. Er lehnte sich gegen eine Ladenfassade, hob den Kegel an den Mund und sorgte für seine eigene Freitagabendshow, indem er tat, als spiele er Trompete.
Thorne sah nach rechts zu Hendricks. Der hatte die Augen geschlossen. »Bist du müde, oder langweile ich dich?«
Auf Hendricks’ Gesicht machte sich ein Lächeln breit. Und dann sprang er mit dieser Energie, wie sie nur Drogen verleihen, unvermittelt auf und klatschte in die Hände. »Okay, ich bin schon weg …«
»Wie kommst du zurück?«, fragte Thorne.
»Ich nehm ein Taxi.« Hendricks blinzelte hinüber zu dem Leitkegelbläser.
»Der ist super, oder?«
Zu Thorne gewandt fuhr er fort: »Müssen wir wieder mal machen. Na ja, nicht so. Wenn du zurück bist, gehen wir mal richtig weg. Warum nicht zu viert. Du, ich, Brendan und Dave. Brendan mag Dave. Ich glaub sogar, er steht ein bisschen auf ihn, aber er gibt es nicht zu.«
»Das wär schön«, sagte Thorne.
Hendricks wollte endgültig aufbrechen. Er sah links und rechts die Straße hinunter.
Thorne deutete nach rechts. »Kingsway.«
»Kingsway«, wiederholte Hendricks und machte sich auf den Weg. Dabei lief er schnell, als bemühe er sich, nüchtern zu wirken.
Thorne rief ihm nach. »Mach’s gut, Phil …«
Hendricks hob den Daumen, ohne zurückzublicken.
Der Betrunkene mit dem Verkehrsleitkegel hatte angefangen, etwas halbwegs Erkennbares zu spielen, obwohl Thorne der Name nicht einfiel. Ob er sich was wünschen durfte? Thorne spielte mit dem Gedanken, ihn zu fragen, ob er den Bläsersatz von »Ring of Fire« spielen könne.
Er holte seinen Schlafsack heraus und versuchte sich für die Nacht einzurichten. Der Mann drüben mit seinem Kegel wurde immer besser und sicherer. Er spielte »Mackie Messer« und »When The Saints Go Marching In«.
Nach fünf Minuten stand Thorne auf und brüllte ihm zu, er solle sich verpissen.
Er riss die Augen auf und starrte die Gestalt an, die sich vor ihm auftürmte. Thorne schrie auf und strampelte mit den Füßen, versuchte, sich aus der Gefahrenzone und hin zur Mauer zu schieben.
»Was ist denn los mit dir, du Scheißkerl?«, dröhnte es über ihm.
Thorne schlug das Herz bis zum Hals. Er spürte es gegen die Zähne klopfen.
»Scheiße, du Blödmann!«
Er schnappte nach Luft. »Mein Gott, du bist es!«
Jim Thorne schmunzelte. »Du hast gedacht, ich wär der Mörder, stimmt’s?«
»Was soll ich denn sonst denken?« Wütend deutete Thorne auf seinen Vater. »Du stehst da im Dunklen …«
»Ich steh im Dunklen und lach mich kaputt, wie du versuchst, dich zu verstecken, als wärst du ein kleines Mädchen.«
Noch immer keuchend rutschte Thorne nach vorne und drehte sich zur Seite. Sein Vater setzte sich neben ihn auf den Betonboden, wobei er vor Anstrengung stöhnte.
»Ich bin doch der Einzige, bei dem du dir einigermaßen sicher sein kannst, dass er nicht der Mörder ist. Viel hast du ja noch nicht herausgefunden, aber das solltest du zumindest gerafft haben. Ja?«
Er kam sich vor wie ein Schuljunge, als er versuchte, ruhig auf die Frage zu antworten. Es klang kindisch und quengelig. »Ja. Das weiß ich auch …«
»Du weißt eine Menge. Eine Menge. Du weißt zum Beispiel, wer wirklich der Mörder ist.«
Thorne starrte seinen Vater an. Dessen Gesicht verriet nichts. »Seit deinem Tod bist du schlimmer geworden.«
»Du weißt, wie er heißt, mein Sohn.«
»Sag es mir …«
»Nur ruhig mit den jungen Pferden. Das soll ja auch Spaß machen.«
Thorne begriff, worauf er hinauswollte. »Oh, bitte, lieber Gott, nein. Kein Scheißratespiel.«
»Sei kein solcher Langweiler. Okay, jetzt zähl mir die Leute auf, die es sein könnten.« Er beugte sich zu ihm und tippte ihm an die
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