Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
getroffen hatte, als er Steve Norman in die Hände lief. Thorne beschloss, dessen Angebot, wenn die Spurs über Weihnachten zu Hause spielten – und wenn er zu Hause war –, anzunehmen. Er dachte an die Pasteten und Hot Dogs und den brühend heißen Tee in der Halbzeit; was ihm im Augenblick attraktiver erschien als das Spiel selbst …
Spike legte den Kopf an die Scheibe, worauf diese anlief, als er sprach. »Ich glaub, ich gehe heute mal zu meiner Schwester. Sie hat eine Superwohnung in den Docklands …«
Thorne nickte. Spike erzählte ständig Dinge, die er ihm bereits ein-, zweimal erzählt hatte.
»Mir ist alles egal, solange ich ein Dach über dem Kopf hab«, sagte Caroline. »Dieses Jahr ist mir das noch wichtiger als sonst.«
Thorne wusste, sie spielte auf die Morde an. Für die Angehörigen, wo immer sie sich befanden, und für diejenigen, die noch immer auf denselben Straßen schliefen wie ihre toten Freunde, war das das erste schwierige Weihnachten.
»Er bringt die Leute um oder jagt ihnen solche Angst ein, dass sie verschwinden«, sagte Caroline. »So oder so leert er die Straßen.«
Spike lehnte sich zurück und zeichnete mit dem Finger ein Gesicht auf die Scheibe. »Vielleicht arbeitet er fürs Sozialamt.«
Neben den Stellen, an denen es gehaltvollere Mahlzeiten gab, öffneten im West End den ganzen Abend über jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten mehrere Suppenküchen. Direkt um die Ecke gab es eine um zehn Uhr. Wieder war es eine Frage des Wissens – wann und wo es was gab. Einige hier, deren Appetit den Drogen zum Opfer gefallen war, kamen den ganzen Tag ohne ordentliches Essen aus. Zwei oder drei Teller Suppe reichten ihnen. Sie trotteten mit der erschöpften Resignation derer von Suppenküche zu Suppenküche, denen Essen schon lange kein Vergnügen mehr bereitete.
Als sie ankamen, warteten bereits ein gutes Dutzend Leute, darunter ein paar, die Thorne schon über den Weg gelaufen waren. Ein paar Gesichter kannte er vom Lift, von den Straßen in der Gegend des Theaters, in dem er sein Nachtlager aufschlug. Er begegnete dem aggressiven Blick des Mannes, der Spike und ihn vor ein paar Tagen beinahe angegriffen hätte.
Thorne, Spike und Caroline schlossen sich der Menge vor dem Gebäude an, das – gemäß einem diskreten, aber auf Hochglanz polierten Schild – die Zentrale von British and American Tobacco war. Ein paar trieben sich möglichst nah an der Stelle herum, an der der Van ihrer Meinung nach anhielt, während andere sich zurückhielten und lieber auf der gegenüberliegenden Straßenseite warteten. Sie standen in kleineren Grüppchen herum, unterhielten sich oder starrten Löcher in die Luft: die blassen Kids in ihren schmuddligen Anoraks und die alten Hasen mit den langen Haaren und den langen Bärten in den dunklen Klamotten, die fett und schmierig über ihre massigen Körper hingen. Eine Gruppe wirkte wie Rucksacktouristen, denen das Geld ausgegangen war, und Thorne schnappte tatsächlich ein, zwei Worte in einem australischen Akzent auf.
Auf der gegenüberliegenden Seite, am Eingang zur U-Bahn-Station, stand einer der wenigen Schwarzen, die Thorne bislang auf der Platte gesehen hatte. Maxwell hatte ihm bereits erklärt, dass es so wenig schwarze und asiatische Obdachlose gäbe, weil deren Leute besser zusammenhielten und die Großfamilie eine bedeutende Rolle spielte. In Thornes Augen ergab das durchaus Sinn. Selbst wenn er seine Cousins fände – ersten, zweiten oder welchen Grades auch immer –, wäre keiner von ihnen bereit, ihn bei sich aufzunehmen, falls er in ernsten Schwierigkeiten steckte. Natürlich wäre es umgekehrt auch nicht anders. Er hatte genug Blut gesehen, um zu wissen, dass es dicker war als Wasser, aber zu viel davon war unter Familienangehörigen vergossen worden. Den Spruch konnte man also vergessen.
Spike bemerkte, dass Thorne sich interessiert umblickte. »Hab’s dir ja gesagt. Eine bunte Mischung …«
»Die Suppe muss fantastisch schmecken«, meinte Thorne.
Sie kam und schmeckte nicht fantastisch. Vom Kofferraum eines Volvo-Kombis wurde sie aus einem riesigen Aluminiumtopf mit einem Schöpflöffel in Styroporschüsseln geschöpft. Aber immerhin war sie warm und wurde mit einem Lächeln ausgeteilt. Ohne Fragen, was entscheidend war. Das war ein weiterer Grund, warum diese Suppenküche so beliebt war und warum jugendliche Rucksacktouristen in einer Schlange mit eingefleischten Pennern standen.
Caroline ging über die Straße zu einer Bank und
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