Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
nachdem man einen Furunkel aufgestochen hatte.
»Ich hab gedacht, das ist nicht wichtig. Ich schwör es. Es war so, wie ich es diesem Pathologentypen in dem Auto erzählt habe, ich hab einfach gedacht, Chris ist wieder mal unterwegs – verstehen Sie? – und er kommt schon nach Hause, wenn ihm danach ist. Also warum sollte es für irgendjemanden sonst eine Rolle spielen, was er zuvor gemacht hat? Ich wollte das alles vergessen. Ich habe mir erfolgreich eingeredet, dass ich nicht viel über seine Vergangenheit weiß und dass es niemandem weh tut, wenn man es dabei belässt.« Sie sah von Holland zu Kitson und wieder zurück. »Dann hab ich erfahren, dass er tot ist, und da hab ich gewusst, dass es jetzt zwei von ihnen erwischt hat. Als mir das klar wurde, wollte ich reinen Tisch machen. Ich wollte es sagen, ehrlich. Aber irgendwie haben mich die Lügen eingeholt. Ich hab einfach nicht gewusst, wie ich es wieder gutmachen soll …«
»Haben Sie den Mann in der Leichenhalle erkannt?«, fragte Kitson.
Sie zog die Augenbrauen hoch, das ganze aufgesetzte Getue war wie weggeblasen. »Eine Zigarette wär jetzt gut.«
»Haben Sie ihn erkannt, Susan?«
»Ja. Er war mit Chris in der Crew. Aber beim Leben meiner Kinder, ich hab keine Ahnung, wie er heißt. Ich hab nur mal ein Foto gesehen, wo sie alle vier drauf sind, das ist alles.«
»Welche Crew?«, wollte Holland wissen.
»Chris war ein Panzersoldat. Er war bei den 12th King’s Hussars, einem Kavallerieregiment …«
Kitson hob die Hand, um den Redeschwall zu bremsen. »Vier, sagten Sie. Warum vier?«
»In einer Challenger-Crew sind immer vier Leute. Das war der Panzer von Chris und seinen Kumpeln. Die vier, die losgezogen sind und sich diese Tattoos haben machen lassen, kurz bevor sie entsandt wurden. Die Blutgruppe und die Buchstaben waren übrigens nur ein Scherz, weil sie alle einen Hass auf das Royal Tank Regiment hatten. Das war so eine dumme Rivalengeschichte, die Royals waren ihrer Meinung nach schickimicki. Und der Wahlspruch der Royals ist »Fear Nought« – ›Fürchtet nichts-. Also ließen sich Chris und die anderen aus Jux und Dollerei ihren eigenen Wahlspruch eintätowieren: S. O. F. A. – Scared Of Fuck All …«
Holland hatte Mühe, das alles aufzunehmen, doch er ahnte die Tragweite der Aussage. Das Zimmer schien plötzlich zu schrumpfen und wärmer zu werden. Er hatte das Gefühl, ihm gingen die Ohren auf. »Wir haben genug Zeit, uns um diese Details zu kümmern, Susan. Aber sagen Sie uns doch bitte, warum Sie das geheim halten wollten.«
Jago langte unter den Tisch und hob ihre Handtasche auf den Schoß.
»Sie können gleich rauchen, Susan«, sagte Kitson.
Aber es war kein Päckchen Zigaretten, das Jago herauszog. Es war eine Videokassette. Sie legte kurz die Hand darauf und schob sie dann über den Tisch.
»Ich erzähle Ihnen alles, was Sie wissen wollen«, sagte sie. »Alles, was ich weiß. Aber das hier sehe ich mir nicht an …«
1991
Es sind zwei Gruppen, jede besteht aus vier Mann …
Jetzt sind sie zusammen. Die zuvor Gefesselten sitzen nun viel näher zusammen, die anderen kauern oder stehen gebückt um sie herum. Vier der acht Männer sind tot, aber alle verharren reglos.
Die einen postiert, die anderen posierend.
Hinter diesem bizarren Tableau wird zum ersten Mal die grobe Silhouette des Panzers sichtbar. Dessen öl- und regenverschmierte Seitenansicht und Fahrrinnen im nassen Sand liefern den idealen Hintergrund. Und man kann die Toten daran lehnen.
Nach ein paar Sekunden ist in unmittelbarer Nähe eine Stimme zu hören. Über dem unablässigen Klatschen und Platschen sind die Worte gerade noch zu verstehen. »Umarmt sie … Seid ein bisschen nett zu den Arschlöchern.«
Zwei Soldaten kommen der Aufforderung nach. Sie beugen sich vor und legen jeweils den Arm um die Schulter einer Leiche. Die anderen zwei starren regungslos auf den Boden.
»Ich kann ihre Gesichter nicht sehen … Hebt ihre Köpfe.«
Einer der Soldaten kauert zwischen zwei Toten auf dem Boden, einen Arm um jeden. Er wirft einem der beiden reglos daneben Stehenden einen Blick zu. »Bisschen spät, um Zicken zu machen.«
Der angesprochene Soldat bückt sich daraufhin und reißt den Kopf des Toten vor ihm nach hinten. In einer Nahaufnahme sieht man die halb geschlossenen Augen der Leiche und die schlaff nach unten hängende Kinnlade. Regen klatscht in den offenen Mund und läuft aus dem Mundwinkel.
»Oh-oh … einer haut uns ab
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