Topchter der Köingin Tess 1
Arme um die Unterschenkel schlang. Ihre Augen wurden dunkel und feucht, und ich erkannte, dass die junge Frau den Tränen nahe war.
»Ich war neidisch«, flüsterte sie, »und ich hatte Angst. Ich wollte dir wehtun. Du hattest alles. Du wusstest alles. Du kamst ins Lager und sahst so stark aus, dass ich Angst bekommen habe. Ich weiß nicht, wie das geht – eine Prinzessin sein. Und als ich dich da stehen sah, wurde mir klar, dass ich das nicht kann!«
Ich war wie erstarrt vor Staunen über dieses Eingeständnis. Sie wischte sich die Augen, und die blasse Haut darum herum färbte sich hässlich rot. Schniefend brachte sie ein schwaches, freudloses Lachen zustande. »Ich wollte Thadd heiraten, weißt du? Und mit ihm Kinder bekommen und in dem Haus leben, das sein Großvater für seine Großmutter gebaut hat, und dort glücklich alt werden und sterben. Und dann, letztes Jahr, kommt auf einmal ein Mann auf einem wunderschönen Pferd daher. In den prächtigsten Kleidern, die ich je gesehen habe, betritt er mein Zimmer und sagt mir, dass ich eine Prinzessin bin. Dass ich meine schönen Berge verlassen und in eine Stadt ziehen muss. Dass eine Prophezeiung behauptet, ich könnte einen Krieg auslösen, wenn ich es nicht täte! Weißt du, wie das ist, wenn das Geschick der Welt dir dein ganzes Leben wegnimmt?«
Sie fuhr sich wenig prinzessinnenhaft mit dem Ärmel übers Gesicht, und auf einmal tat sie mir schrecklich leid. Mitgefühl schnürte mir die Kehle zu. Ich wusste, wie das war. Ich verstand sie nur zu gut.
»Und dann kamst du ins Lager gestürmt«, sagte sie, und bittere Selbstvorwürfe schwangen in ihrer Stimme mit. Sie betrachtete ihren feuchten Ärmel. »Jemanden wie dich habe ich noch nie zuvor gesehen.« Unsere Blicke trafen sich, und ich sah den Jammer in ihren Augen. »Wie soll ich jemals werden wie du? Du bist so groß und anmutig. Selbst mit schmutzigem Gesicht und zerrissenem Kleid hast du ausgesehen wie eine Prinzessin, stolz und gelassen. Und du hast auch so gesprochen. Ich habe gemerkt, wie wütend du warst und dass ich dich verletzt habe, aber du bist so lange höflich geblieben, wie du konntest. Ich fand es grässlich, dass du alles kennst, wovon ich nichts weiß. Ich musste beweisen, dass ich besser bin als du, doch damit habe ich nur meine eigene Niedertracht und Gemeinheit bewiesen.« Ihr Blick schweifte über den Fluss zum Wald hinüber. »Ich kann das nicht.«
»Doch, du kannst das«, hörte ich mich zu meinem eigenen Erstaunen sagen.
Sie schniefte und blickte auf. »Kanzler Kavenlow hat gesagt, du könntest mir helfen.« Ein ängstlicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht, als sie meinem Blick begegnete. »Würdest du das tun? Bitte? Ich kann sonst niemanden fragen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie ich auftreten soll. Ich weiß gar nichts, und ich habe solche Angst davor, dass es jemand merkt!«
Ich senkte den Blick auf das Wasser, das um meine Schienbeine wirbelte, und schämte mich dafür, wie ich sie behandelt hatte. Gleich darauf hob ich den Kopf wieder und schenkte ihr ein schwaches, verschwörerisches Lächeln. Ihr ängstlicher Ausdruck wich der Erleichterung, als ich nickte und platschend zu dem Felsbrocken neben ihrem watete. Schweigend setzte ich mich hin und brachte mein Kleid in Ordnung. Der Stein fühlte sich unter meinen nackten Füßen etwas erträglicher an als das kalte Wasser. Ich blickte auf meine Zehen hinab und bedeckte sie dann mit meinem Rocksaum, weil ich sie hässlich fand.
»Möchtest du unseren Namen haben?«, stieß sie hastig hervor. »Wir können ja nicht beide Contessa heißen. Und da niemand außer dir das Recht hat, mich beim Vornamen zu nennen, kannst du ihn ebenso gut behalten …«
Nun durchschaute ich ihre Angst und Sorge und erkannte die einfache Frau dahinter. Die Spitzen ihres blonden Haars waren ins Wasser gerutscht, und sie gab ein Bild der arglosen Unschuld ab. Die vornehme Kultiviertheit der Menschen, mit denen ich aufgewachsen war, fehlte ihr völlig. Ihre Gefühle – die guten wie die unangenehmen – strahlten so klar aus ihr hervor wie Sterne im Winter. Wenn ich ihr nicht half, würde sie bei lebendigem Leib aufgefressen werden. »Du kannst gern Contessa sein«, sagte ich. »Wenn ich nicht gerade in Schwierigkeiten stecke, nennt mich jeder Tess oder – äh – Prinzessin.« Ich senkte den Blick.
Sie fühlte sich sichtlich unbehaglich. »Wie waren sie denn? Unsere Eltern?«, fragte sie schüchtern.
Unsere Eltern?,
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