Topchter der Köingin Tess 1
hoffnungsvoll den Atem an. Er erkannte meine unausgesprochene Frage und schüttelte den Kopf. Verzweiflung überkam mich. Er würde mich nicht gehen lassen. »Nein! Bitte!«, flehte ich, als er mich um die Taille packte und erneut über seine Schulter warf.
Ich weinte und fluchte und schlug ihm die übelsten Beleidigungen um die Ohren, die ich je auf den Kais gehört hatte. Er ignorierte mich und geriet nicht einmal außer Atem, als er mich die zwei Treppen zu meinen Gemächern hinauftrug. Vor meiner Tür standen zwei Gardisten, die ich nicht kannte, und einer von ihnen hielt uns die Tür auf. Jeck schleuderte mich auf den Boden meines Salons. Mit einem Schrei schlug ich auf dem Teppich auf. Die Tür wurde zugeschlagen. Schluchzend wand ich mich in den Fesseln, bis ich die blutigen, klebrigen Hände frei hatte.
»Feigling!«, brüllte ich und schleuderte einen leeren Krug gegen die Tür, noch ehe ich ganz aufgestanden war. Er zersprang in sechs Teile. Ich rannte zur Tür und schloss sie von innen ab. Dann wirbelte ich herum und ließ den Blick durch den leeren Raum schweifen, der nun mein Gefängnis war. Hier gab es nichts, was mir helfen könnte. Ich gab auf, warf mich auf das Sofa und weinte.
Er hatte die Menschen ermordet, die ich meine Eltern nannte. Er würde Kavenlow ermorden. Und ich konnte nichts dagegen tun.
5
Ich stand vor meinem Spiegel im Vorzimmer und zerrte an dem Rock auf meinen schmalen Hüften, damit der Saum den Boden erreichte. Das graue Kleid, das ich trug, war zu kurz, aber dieses Kleid und mein roter Unterrock waren die einzigen Kleidungsstücke, die ich ohne Heathers Hilfe anziehen konnte. Beim Gedanken an sie schloss ich kurz die Augen. Ich hoffte, dass sie sicher bei ihrem jungen Mann jenseits der Mauern war. Das Haupttor war von meinem Fenster aus nicht zu sehen, aber was ich vom Palastgelände und den Dorfstraßen erkennen konnte, sah ganz normal aus. Anscheinend hatten die Leute noch nicht einmal bemerkt, dass der Palast erobert worden war.
Ich sank auf dem Stuhl vor dem Spiegel zusammen, die Ellbogen auf dem Frisiertisch – und wartete. Die Nachtluft kroch in mein Zimmer, und ich bekam eine Gänsehaut. Ich scherte mich nicht darum. Ich blickte auf und sah im Feuerschein, dass meine Augen rot gerändert waren und elend dreinblickten. Mein Magen knurrte, und ich wandte mich ab – ich war zornig, weil mein Körper einfach weitermachte, obwohl meine Seele gestorben war. Vorhin hatte ich die Mahlzeit, die der Misdever Gardist mir gebracht hatte, aus dem Fenster geworfen aus Sorge, sie könnte vergiftet sein. Im Nachhinein fand ich, ich hätte es ruhig riskieren können. Garrett brauchte mich lebend, bis er sicher war, dass Kavenlow nicht plötzlich mit der echten Prinzessin auftauchte.
»Kavenlow«, flüsterte ich heiser und zog die Schultern hoch, weil ich mich so völlig verraten fühlte. Er hatte gewusst, dass ich ein Findelkind war, und er hatte mir nichts gesagt. Der Kanzler hatte mehr Zeit für mich gehabt als meine Eltern und mich im Grunde großgezogen. Immer hatte er für Abwechslung und einen Zeitvertreib gesorgt, wenn alle anderen zu beschäftigt gewesen waren. Und seine Fürsorge war eine Lüge, dachte ich verbittert. Ich hatte ihm vertraut, ihn geliebt wie einen zweiten Vater. Auf meine Eltern konnte ich nicht zornig sein. Sie waren tot. Das Blut pochte mir in den Schläfen, und ich hielt den Atem an. Ich würde nicht weinen. Beim ersten Mal hatte ich den ganzen Nachmittag gebraucht, bis ich wieder damit aufhören konnte.
Mit zitternder Hand griff ich nach der Bürste. Nachdem ich mich den ganzen Tag lang in Selbstmitleid gewälzt hatte, waren meine Wangen nun fleckig und mein Haar völlig wirr und verknotet. Hin und wieder ziepte es schmerzhaft, wenn ich mit der Bürste an meinen Locken zerrte, aber ich fand das angenehm. Es erinnerte mich daran, dass ich noch irgendetwas anderes spüren konnte als Trauer und tiefste Enttäuschung.
Mein Spiegelbild ergraute in der Dämmerung, als ich begann, sorgfältig mein Haar zurechtzumachen. Es sah ganz so aus, als würde ich mit Garrett zu Abend essen; dafür waren ein paar besondere Vorbereitungen nötig. Ich schniefte wenig damenhaft, türmte meine Locken auf dem Kopf auf und schnürte sie mit einem schwarzen Band zu einem Knoten zusammen. Ich wünschte mir das passende schwarze Kleid dazu. Vorsichtig ließ ich den Haarknoten los, zog mein Haarnadelkissen zu mir heran und nahm einen meiner dekorativen Pfeile heraus. Ich
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