Tori und die verschwundene Stute
nach vorn und tätschelte Tibors Hals. Juliana hatte Recht, es war wunderbar zu reiten. Es gab kein schöneres Geräusch als das Trommeln der Pferdehufe auf dem Waldboden. Und kein schöneres Gefühl, als wenn das grüne Gras und der blaue Himmel an einem vorbeiflogen. Wie eine Fahrt auf einem Kettenkarussell. Nein, viel, viel besser.
Tori atmete tief ein. Pferdegeruch, vermischt mit dem Duft von Frühling. Sie schloss die Augen und spürte den Wind und die Sonne auf ihrem Gesicht.
Als sie die Augen wieder aufmachte, sah sie Sina, die schräg vor ihr auf Jankos Rücken auf- und abhüpfte. Sina schien auch vor sich hinzuträumen und lächelte versonnen. Wahrscheinlich dachte sie an Viktor.
Tori spürte, dass ihr das Glücksgefühl entwich wie Luft aus einem kaputten Fahrradreifen. Sina und Viktor. Viktor und Sina. Die Verliebtheit der beiden ging ihr langsam, aber sicher auf die Nerven. Seit einem halben Jahr waren sie nun schon zusammen und Sinas Augen leuchteten immer noch auf, wenn sie Viktor nur von Weitem sah.
Vielleicht bin ich neidisch, überlegte Tori. Vielleicht nervt es mich, weil die Jungen mich am Anfang besser finden als Sina, aber nach ein paar Tagen fallen lassen wie eine heiÃe Kartoffel.
Was immer es war, sie wollte Sinas glückliches Gesicht nicht länger sehen. Also senkte sie den Blick auf Tibors flatternde Mähne. Plötzlich musste sie an Jonas denken. Wie er vor ihrem Fenster gestanden hatte. Und wie er in dem dunklen Stall ihre Hand genommen hatte. Warum war er ausgerechnet zu ihr gekommen und nicht zu Hannah oder Juliana oder Sina? Vielleicht war er ja â¦
Nein, Schluss, Tori wollte nicht darüber nachdenken! Nach der Geschichte mit Marten hatte sie sich geschworen, sich nie mehr auf einen FuÃballspieler einzulassen.
AuÃerdem ist Jonas überhaupt nicht mein Typ, dachte Tori. Er ist zu klein für mich und dann diese langen Haare. Obwohl es schön gewesen war, ihre Finger in seine Hand zu legen.
Tori seufzte.
âAlles okay mit dir?â, fragte Juliana, die immer noch neben ihr ritt.
âKlar dochâ, sagte Tori. âAlles bestens.â
Sie waren voller Hoffnung gewesen, dass Fritz seinen Kummer endlich überwunden hatte. Aber als die Mädchen von ihrem Ausritt zurückkamen, hörten sie den Esel bereits von Weitem brüllen. Fritz röhrte so laut und unglücklich, als wäre Becky gerade eben erst entführt worden.
âDas wird ja immer schlimmerâ, seufzte Hannah.
âDu weiÃt doch: Esel sind dickköpfigâ, meinte Tori.
âWir kriegen richtig Ãrger mit den Nachbarn, wenn er sich nicht bald zusammenreiÃt.â
Hannahs Prophezeiung erfüllte sich innerhalb von Sekunden. Im Hof der Sunshine Ranch erwartete sie Frau Fischer mit zwei Männern. Beide trugen Anzug, Krawatte und identische braune Aktentaschen.
âDa kommen sie!â, rief Frau Fischer aufgeregt, als die Mädchen auf den Hof ritten.
âGuten Tag.â Der jüngere der beiden, ein schlanker Mann mit einer randlosen Brille, rückte nervös an seiner Krawatte. âMein Name ist Rohn, mein Kollege, Herr Schneider. Wir sind vom Ordnungsamt und suchen den Besitzer dieses Betriebs.â
âOder einen Verwalterâ, ergänzte sein Kollege mit ausdrucksloser Miene.
âFrau Mirador ist im Urlaubâ, erklärte Tori. âGeht es um den Esel oder warum sind Sie hier?â
Verdammt, wenn Fritz wenigstens jetzt die Klappe gehalten hätte! Aber er steigerte sein Gebrüll noch, als ginge es um sein Leben.
âNatürlichâ, sagte Herr Rohn. âWarum schreit das Tier denn so? Ist es krank?â
âNein, ihm fehlt nichts.â Tori räusperte sich, während sie fieberhaft überlegte. âEr ist neu hier auf der Ranch. Und er hat ⦠Heimweh.â
âHeimweh?â Herr Rohn zog die Augenbrauen so hoch, dass sie weit über seinen Brillengläsern schwebten. âSo etwas habe ich ja noch nie gehört.â
âDoch, dochâ, sagte Tori. âEsel sind sehr heimatverbundene Tiere. Und wenn man sie entwurzelt, dann müssen sie sich in ihrem neuen Zuhause erst wieder akklimatisieren, sozusagen.â
âMan nennt es das postcasitive Syndrom, sagt der Tierarztâ, fabulierte Hannah. âEs kommt nicht nur bei Eseln vor, sondern auch bei Maultieren.â
âAch. Und wie lang hält dieses Syndrom so an?â,
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