Tori und die verschwundene Stute
das zum wiederholten Mal enttäuscht wird. Tibor wusste, was los war.
Die Reitstunde war zu Ende.
In der gläsernen Empfangshalle der Schleyer AG herrschte Winter. Der dunkle Marmorboden glänzte wie blankes Eis, das Leder der weiÃen Polstermöbel wirkte wie frisch gefallener Schnee. Die Empfangsdame hinter der riesigen Theke in der Mitte der Halle hatte sich einen Schal um die schmalen Schultern gelegt. Tori trug nur ein T-Shirt und fröstelte.
âGuten Tag.â Jonas ging mit forschen Schritten zum Empfangstisch und legte seinen Presseausweis auf die Theke. âJonas Spitzer vom FFG .â FFG stand für Friederike-Fliedner-Gymnasium, aber so selbstbewusst, wie Jonas es aussprach, klang es wie das Kürzel einer Fernsehstation.
âUnd?â Die Sekretärin wirkte nicht sehr beeindruckt.
âIch habe vorhin angerufen. Es geht um die Führung durch den Betrieb.â
Die Dame zog die perfekt gezupften Augenbrauen hoch. âEine Führung? Mit wem hast du denn gesprochen?â
âMit Herrn ⦠zu dumm, jetzt ist mir der Name entfallen.â
Das Lächeln der Empfangsdame flackerte gefährlich. Sie glaubte Jonas kein Wort. Tori schwitzte. Wenn sie nicht schnell die Kurve kriegten, würden sie hochkant rausfliegen.
âMit dem Kollegen, der für den Ankauf von Versuchstieren zuständig ist. Herr Dr. ⦠nee, ich weià den Namen auch nicht mehrâ, sagte sie schnell. âWir haben ihn letzte Woche zufällig auf der Sunshine Ranch kennengelernt und sind mit ihm ins Gespräch gekommen. Ãber das Thema Tierversuche.â
Jetzt verzog die Sekretärin den geschminkten Mund, als hätte Tori ein unanständiges Schimpfwort gebraucht. Aber zumindest hörte sie ihnen zu.
âIhr Kollege hat uns angeboten, dass wir ihn für die Schülerzeitung interviewen können. Und er wollte eine Führung mit uns machen.â
âAha.â Die Dame zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. âAber wenn ihr den Namen nicht wisst, kann ich euch leider nicht helfen.â
âSchadeâ, meinte Tori. âIch hätte mir seine Argumente wirklich gerne angehört. Aber nun müssen wir den Artikel eben ohne die Hintergrundinformationen schreiben.â
âIch kann unseren Referenten für Ãffentlichkeitsarbeit anrufenâ, bot die Dame an. âVielleicht hat der spontan Zeit für euch.â
âNee danke!â Tori winkte ab. âWir kommen auch so zurecht. Im Internet findet man ja eine ganze Menge zum Thema Tierversuche.â
Wieder dieses schreckliche Wort. Die Sekretärin schauderte und zog ihren Schal enger um die Schultern.
âSchönen Tag noch!â Tori zog Jonas am Ãrmel weg. Er wollte nicht mitkommen, das spürte sie ganz deutlich, aber wenn der Bluff nicht funktionierte, hatten sie ohnehin verloren.
âEinen Moment noch!â, rief ihnen die Empfangsdame nach, als sie schon fast an der Tür waren. âIhr meint nicht zufällig Herrn Dr. Müller?â
Dr. Stefan Müller. Doch. Das war der Name, der auf der Visitenkarte gestanden hatte!
âEr ist zurzeit nicht im Hausâ, erklärte die Dame, als Tori und Jonas wieder vor ihr standen. âAber ich könnte euch seine Durchwahl geben. Ruft ihn an und vereinbart einen Termin mit ihm.â
âVielen Dankâ, sagte Tori. âSie sind wirklich nett.â
Die Sekretärin lächelte geschmeichelt.
Wenn du wüsstest!, dachte Tori.
Die Schleyer AG war ein Hochsicherheitstrakt. Jeder Versuch, von auÃen einen Blick auf das Werksgelände zu werfen, war zum Scheitern verurteilt. Das Firmengebäude und die Produktionshallen waren von meterhohen Mauern umgeben.
âDie Fabrik ist perfekt überwacht.â Jonas zeigte auf eine Kamera, deren Linse von oben auf sie herunterstarrte. âWahrscheinlich haben die uns schon gescannt und durchsuchen jetzt ihre Datenbank, ob wir vielleicht militante Tierschützer sind.â
âGruselig.â Tori reckte den Hals und spähte durch ein Gittertor, hinter dem ein leerer Hof lag.
âKann ich euch helfen?â Ein uniformierter Wachmann trat auf der anderen Seite aus seiner Portiersloge und starrte sie drohend an.
âNein, nein.â Jonas zog Tori weg.
âDas hat alles keinen Sinnâ, sagte Tori. âOhne einen Verbindungsmann kommen wir da nicht rein.â
âUnd was willst du machen?â,
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