Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
Vom Netzwerk:
Angst, ich bin ganz bei dir, wir bekommen das alles wieder hin. Dem entzog man sich nur schwer. Und wenn, dann meistens zu spät.
    Die vielen tausend Menschen, die Zieten in seinem Berufsleben bereits ruiniert hatte, verfielen, wenn Wahlkampfauftritte ein Gradmesser dafür waren, nach wie vor seinem Charme, was allerdings wohl auch daran lag, dass die meisten seiner Opfer gar nicht wussten, dass der charismatische Herr, der im öffentlichen Leben so wortmächtig für Gerechtigkeit und Anstand eintrat, noch keine Unanständigkeit und keinen Rechtsbruch gescheut hatte, um seine Interessen durchzusetzen. Dabei war bisher nie etwas an ihm hängengeblieben. Ob er nun, wie zu Beginn seiner Karriere, schlingernde Familienunternehmen ausgeweidet oder, wie bis noch vor kurzem, ostdeutsche Betriebe geschickt in die Insolvenz getrieben hatte, um deren immense Schulden einzuheimsen, die sich seine Bank dann vom Staat erstatten ließ – stets handelte er nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und setzte um, was ein Bankvorstand oder Finanzminister vorgegeben hatte.
    Das besonders Faszinierende an Hans-Joachim Zieten war jedoch nicht, dass er ein gerissener und gewissenloser Banker war, der es zu Macht und Reichtum gebracht hatte. Was ihn auszeichnete, war, dass er dem System, das ihn in immer schwindelerregendere Höhen getragen hatte, selbst oft mit fassungslosem Staunen gegenüberstand. Ja, er hätte niemals geglaubt, dass sein Vater mit seinen drei Wahrheiten tatsächlich recht behalten würde; dass nämlich, erstens, nur Vollidioten arbeiten gingen; dass man, zweitens, dem Geld nicht hinterherjagte, sondern die Hand ausstreckte, wenn es vorbeikam; und dass dies, drittens, glücklicherweise nur sehr wenige Menschen kapierten, womit man wieder zum Ausgangspunkt der Beweisführung zurückgekehrt sei.
    Zieten hatte das wundersame Wirken dieser Formel immer wieder beobachtet. Schon bevor er seine Bankkarriere begann, beobachtete er jedes Jahr am Weltspartag fassungslos, wie die kleinen Kinder von ihren Vätern und Müttern zu Tausenden in die Filialen getrieben wurden, um dort freiwillig und ohne die geringste Gegenleistung den gesamten Inhalt ihrer Sparschweine abzuliefern. Wie war das nur möglich? Warum? Für lächerliche Zinsen, die nicht einmal die Geldentwertung wettmachten? Wenn sie wenigstens Goldmünzen oder Wertpapiere gekauft hätten. Aber nein. Sie tauschten ihr noch wertvolles Geld gegen ein Sparbuch und ein Plastikschwein. Freiwillig.
    Ja, alles geschah freiwillig. Als er zu Beginn seiner Laufbahn in einigen kleinen Geschäftsbanken arbeitete, die alle durch sittenwidrige Gebühren ihr Betriebsergebnis von Jahr zu Jahr um mehrere Millionen aufstockten, wehrte sich kaum ein Kunde. Bemerkten die Leute das gar nicht? Jahre später im Anlagegeschäft wunderte er sich nicht einmal mehr. Die Branche hatte gerade die Zielgruppe OAS ausgemacht, was intern für
old and stupid
stand. Ältere und unerfahrene Menschen wurden dazu gebracht, ihr Geld so kommissionsträchtig wie möglich anzulegen. Auch hier wieder das gleiche Bild. Niemand schien zu begreifen, dass Banken dazu da waren, ihr eigenes Geld zu vermehren und nicht das ihrer Kunden. Kein vernünftiger Mensch fütterte ein Schwein, das er nicht irgendwann schlachten durfte. Nur Bankkunden taten dies. Sogar dann noch, wenn das Schwein damit begann, sie selbst aufzufressen. Millionenfach. Es war völlig rätselhaft.
    Doch das Rätselhafteste war, was sich in einem Bereich abspielte, zu dem er erst mit seinem Parteibuch Zutritt bekam. Im Nachhinein ärgerte es ihn, nicht früher begriffen zu haben, dass Privat- und Geschäftsbanken viel weniger interessant waren als staatliche Banken. Dabei lag der Schluss ja auf der Hand. Schließlich verdienten Banken ihr Geld mit der Abhängigkeit, Ignoranz und nicht selten der Gier von Privatpersonen und Unternehmern, mit Eigenschaften also, die in der Politik mindestens ebenso weit verbreitet waren wie in der freien Wirtschaft. Nur hatte die freie Wirtschaft einen Haken. Man konnte dort pleitegehen, wenn man es zu schlimm trieb. Oder man konnte einem besonders hinterhältigen Exemplar der eigenen Spezies zum Opfer fallen. Man hatte Konkurrenz. Auf dem Kapitalmarkt bekam man es leider rasch mit seinesgleichen zu tun. Nichts davon bei einer staatlichen Bank, die mit staatlicher Garantie quasi unbegrenzt kreditwürdig war und sich so zu unschlagbar günstigen Zinsen finanzieren konnte. Ja, Hans-Joachim Zieten hatte die drei

Weitere Kostenlose Bücher