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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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sie zu, wie ihre Eltern die nächsten Schritte planten. Bei der Beratungsstelle hatten sie den Scheck einer amerikanischen Hilfsorganisation überreicht bekommen, eine wertvolle Starthilfe für die jüdischen Flüchtlinge, die mit nur zehn Reichsmark pro Person aus Deutschland und dem »angeschlossenen« Österreich hier ankamen.
    Für alles ist gesorgt, überlegte Inge. Am Hafen wartet ein Empfangskomitee; es gibt Unterkünfte, eine Schule und eine Beratungsstelle, sogar Geld wird verteilt.
    »Sag mal, Papa, woher wussten die eigentlich, dass wir kommen?« Inge beschäftigte diese Frage schon länger. »Wir haben es doch selbst nicht gewusst.«
    »Gut gefolgert, Entlein«, erwiderte ihr Vater nachdenklich. Wie immer ließ er sich Zeit mit seiner Antwort. »Wenn ich mir gegenüber ehrlich gewesen wäre, hätte ich vorhersehen können, dass sie die Juden aus Deutschland vertreiben würden. Und wenn ich klug gewesen wäre, hätte ich früher gehandelt. Aber ich hab einfach nicht glauben wollen, dass die Nazis mehr sind als eine vorübergehende Erscheinung. Ich hätte nie gedacht, dass sie so brutal vorgehen, wo doch viele von uns im Ersten Weltkrieg für dieses Land gekämpft haben. Außerdem wollte ich deiner Mutter nicht noch mehr zumuten. Also habe ich den Kopf in den Sand gesteckt. Am Ende hat dann sie die Initiativeergriffen, und ich bin ihr unendlich dankbar dafür. Sie ist bei Weitem die Mutigere von uns beiden.« Er warf seiner Frau einen eindringlichen Blick zu. »Ich hoffe, dass ich in Zukunft wieder für unseren Unterhalt sorgen kann. Gleich morgen gehe ich zu diesem Herrn Fiedler in der Bubbling Well Road.«
    Der Gang zur Anlegestelle war den Finkelsteins erspart geblieben. Die Beratungsstelle des Hilfskomitees registrierte ebenfalls Stellengesuche und gab sie an neu eintreffende Emigranten mit entsprechender Qualifikation weiter. Dort hatten sie die Adresse von Curt Fiedler erhalten, einem Deutschen, der seit zehn Jahren in Schanghai eine Konditorei mit Café betrieb. Er suchte dringend eine Fachkraft. Erleichtert stellte Inge fest, dass ihr Vater langsam aus seiner Erstarrung erwachte und wieder einen gewissen Tatendrang entwickelte. So kannte sie ihn, und so brauchte sie ihn jetzt. Trotzdem hatte er ihre Frage nicht wirklich beantwortet, hartnäckig hakte sie nach.
    »Wer hat das hier denn alles so gut organisiert?«
    »In Schanghai hat es schon immer Juden gegeben. Reiche Familien aus Bagdad, die hier Handel treiben. Sie heißen Sassoon oder Kadoori und haben einige der schönen Gebäude am Bund errichtet, auch Synagogen und Schulen für ihre Glaubensbrüder. Wir sind nämlich nicht die Ersten, die vertrieben wurden und hier Zuflucht suchten. Vor uns sind zum Beispiel viele russische Juden hergekommen. Offenbar haben diese einflussreichen Leute die politische Entwicklung in Europa viel realistischer eingeschätzt als wir selbst. Sie haben rasch gehandelt, als sie erkannten, dassSchanghai einer der letzten Freihäfen ist, wo Juden ohne Visum und Bürgschaft einreisen können. Deshalb haben sie Unterkünfte für Emigranten einrichten lassen.« Dann fügte er bitter hinzu: »Und wir werden nicht die Letzten sein. Ein ›Volk ohne Raum‹ besetzt welchen.«
    Der Mann mit dem komischen Namen hatte also auch die Schule gebaut, in die sie eines Tages vielleicht gehen würde. Juden schienen zusammenzuhalten, ganz gleich, aus welchem Land sie kamen. Früher hatte Inge sich nie Gedanken über den Glauben ihres Vaters gemacht. Er war in dem Waisenhaus, in dem er aufgewachsen war, zwar in der jüdischen Tradition erzogen worden, aber dieser Glaube hatte ihm persönlich nie etwas bedeutet. Vermutlich weil er keine Eltern gehabt hatte, die es ihm vormachten. So hatte Inge sich das zumindest erklärt. Im Alltag der Familie Finkelstein, wo Weihnachten und Ostern statt Chanukka und Pessach gefeiert wurden, hatte er jedenfalls keine Rolle gespielt. Er war ihr erst in dem Moment bewusst geworden, als er zum tödlichen Makel wurde und sie aus diesem Alltag vertrieb. Jetzt war sie froh, dass es in dieser fremden Stadt ein solches Netzwerk gab, auch wenn Schule nicht zu ihren wichtigsten Bedürfnissen gehörte.
    »Papa, nimmst du mich mit, wenn du morgen zu dieser blubbernden Quelle gehst?«
    »Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee«, sagte Herr Finkelstein mit einem Seitenblick auf seine Frau. »Wo du doch unsere Chinaexpertin bist. Womöglich müssen wir eine Rikscha nehmen. Ich hab jakeine Ahnung, wo das ist. Da

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