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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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das fragte, umrundete ein kleiner dicker Herr die Vitrine, der sie zum Glück auf Deutsch ansprach.
    »Sie müssen Herr Finkelstein sein«, sagte er und streckte die Hand aus. »Das Komitee hat Sie mir schon angekündigt. Und das Fräulein Tochter haben Sie auch mitgebracht?«
    Inge machte einen verschämten Knicks. Der Mann hatte rote Wangen und ein rundes Bäuchlein und schien selbst sein bester Kunde zu sein. Seine freundlichen Augen unter den buschigen Brauen flößten Inge sofort Vertrauen ein.
    »Kommen Sie doch mit nach oben, da können wir bei einer Tasse Kaffee alles besprechen. Kakao für das kleine Fräulein? Und such dir was von der Kuchentheke aus.«
    Tapfer ignorierte Inge die Torten und entschied sich wohlerzogen für ein bescheidenes Eclair. Dann folgten sie Herrn Fiedler, vorbei an dem schon vormittags gut besuchten Café, die Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo sich die Wohnung der Fiedlers befand. In einem Wohnzimmer, das eine eigentümliche Mischung aus Ost und West darstellte, servierte der lächelnde Kellner von vorhin ihnen Getränke und Gebäck. Während Inge noch versuchte, die Einrichtungsgegenstände den jeweiligen Erdteilen zuzuordnen, kam ein leibhaftiges west-östliches Mischwesen zur Tür hereinspaziert.
    »Das ist mein Sohn Simon, aber alle nennen ihn Sanmao, weil er als Kleinkind ein bisschen so aussahwie die Comic-Figur   – großer Kopf und bloß drei Haare.«
    Ein Junge, etwas älter als Inge, war ins Zimmer getreten, und quittierte die Vorstellung seines Vaters mit einem gnädigen Lächeln. Er hatte den Spruch wohl schon öfter gehört. Sanmao war alles andere als eine Witzfigur. Inge konnte den Blick gar nicht abwenden von diesem Gesicht, in das sich beide Welten eingeschrieben und aufs Beste miteinander verbunden hatten: Mandelaugen und eine schmale Nase mit hohem Rücken, helle Haut und samtig dunkle Augen mit langen, gebogenen Wimpern, ausgeprägte Backenknochen und über allem ein Schopf ungebärdiger schwarzer Haare. Von wegen »Drei-Haar«! Sie bekam ganz weiche Knie, so was war ihr noch nie passiert.
    Was glotzt du so, schien der Blick zu sagen, mit dem er Inge bedachte. Er war es gewohnt, angestarrt zu werden, und er schätzte es ganz offensichtlich nicht.
    Natürlich wusste Inge, dass das ungehörig war, noch dazu bei einem Jungen. Aber man war doch in China. Sie hatte gedacht, das sei hier so üblich. Außerdem wollte sie herausfinden, was ihr dieses Gesicht so fremdländisch und zugleich so vertraut erscheinen ließ. Die Chinesenkinder fielen ihr ein, die auf der Straße versucht hatten, ihre blonden Zöpfe zu berühren. Jetzt musste sie selbst den Impuls unterdrücken, ihr fremdes Gegenüber auf die gleiche Weise zu »begreifen«.
    Der Junge schien ihre Gedanken zu lesen und musterte sie spöttisch aus intelligenten Augen. Dann deutete er einen raschen Diener in Richtung der Gäste an.
    »Meine Frau ist in der Backstube leider unabkömmlich,die werden Sie später kennenlernen«, hörte sie Herrn Fiedler sagen. Plötzlich wurde Inge klar, woher der chinesische Teil der Wohnzimmereinrichtung und Sanmaos Mandelaugen stammten: Herr Fiedler war mit einer Chinesin verheiratet.
    »Das ist nämlich unser Problem«, fuhr Herr Fiedler fort. »Wir sind hoffnungslos unterbesetzt, sodass sie immer wieder einspringen muss.« Daraufhin begann er, Wilhelm Finkelstein die Einzelheiten seines Betriebs auseinanderzusetzen, und bald waren die beiden in ein Fachgespräch vertieft.
    Inge stocherte an ihrem Eclair herum, das seinen Reiz schlagartig verloren hatte, sobald Sanmao ins Zimmer getreten war. Jetzt musste sie unbedingt verhindern, dass er es wieder verließ. Krampfhaft suchte sie nach etwas, das sie ihn fragen könnte.
    »Gehst du auch in die Kaiser-Wilhelm-Schule?«, brachte sie schließlich heraus. Schule war sonst keines ihrer bevorzugten Themen, aber auf die Schnelle fiel ihr nichts Besseres ein.
    »Nö, denen bin ich nicht arisch genug«, erwiderte Sanmao lässig.
    Das Wort gab Inge einen Stich. Spielte so was auch in Schanghai eine Rolle? Doch dann erkannte sie, dass sich hier eine willkommene Gemeinsamkeit zwischen ihr und diesem Jungen auftat.
    »Ich bestimmt auch nicht«, erwiderte sie mit schiefem Grinsen.
    »Da gehen nur Diplomatensöhnchen oder Kinder von deutschen Geschäftsleuten hin. Schanghailänder eben«, erklärte er.
    »Aber dein Vater ist doch ein deutscher Geschäftsmann«, warf Inge ein.
    »Aber meine Mutter ist Chinesin. Ein Halbdrache wie ich passt da

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