Toskanische Verführung (German Edition)
verbunden hatten, geknickte Briefmarken, ein trockenes Stempelkissen, ein zerknitterter Zeitungsausschnitt, eine Schere, weiter hinten ein flaches Etui, in dem es leise klirrte. Flannery zog es neugierig heraus. Es war ein altmodisches Lederetui, abgegriffen vom häufigen Gebrauch, und es kam ihr seltsam vertraut vor. Sie öffnete den rundum laufenden Reißverschluss und erblickte ein komplettes Spritzbesteck und einige Ampullen. Mit einem kleinen Schauder wusste sie wieder, woran sie das Etui erinnert hatte. Ihre Großmutter hatte im letzten halben Jahr ihres Lebens starke Schmerzmittel nehmen müssen. Und dies hier sah so aus wie das Spritzenbesteck der Ärztin, die sie behandelt hatte.
Flannery nahm eine der Ampullen und begutachtete sie. Morixon. Das war ein Morphin-Präparat, so viel sie wusste. Wem gehörte das Etui? Wahrscheinlich Hugo. Er hatte ja gesagt, er habe einen Unfall gehabt ...
Die Tür wurde aufgerissen und Flannery fuhr hoch. Sie ließ das Etui fallen, das auf den Tisch klirrte.
»Was machen Sie hier?«, fragte Alessandro della Gherardesca leise und scharf. »Wer hat Ihnen gestattet, in den persönlichen Dingen meines Großvaters herumzuschnüffeln? Stecken Sie Ihre neugierige Nase immer in die Privatangelegenheiten Ihrer Kunden?«
Flannery stand auf und verbarg die zitternden Hände in den tiefen Taschen ihrer Strickjacke. Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. »Es ist unverzeihlich, ich weiß«, sagte sie. »Wenn Sie wünschen, dass ich meine Sachen packe und gehe, dann ...«
»Halten Sie den Mund«, fuhr der Graf sie an. Er packte grob ihren Ellbogen und zerrte sie zur Tür hinaus. »Gehen Sie auf Ihr Zimmer. Ich erwarte, dass Sie morgen wie vereinbart Ihre Arbeit erledigen. Aber wenn ich Sie noch einmal erwische, wie Sie nachts hier durch mein Haus schleichen, dann sitzen Sie im nächsten Flugzeug nach Hause. Und jetzt verschwinden Sie!«
9
In dieser Nacht fand sie keinen Schlaf mehr. Sie lag lesend im Bett und als die Sonne durch ihr Fenster schien, tappte sie in die Küche und ließ sich von Maddalena ein Frühstück servieren.
Während sie ihren starken, süßen Kaffee trank, drehten sich ihre Überlegungen um die Geschehnisse der Nacht. Bei Tageslicht betrachtet, hatte das alles den absurden Anstrich einer Schauergeschichte, wie sie normalerweise als körniger Schwarzweißfilm in unheimlichen englischen Schlössern oder abgelegenen Landhäusern zu spielen pflegte. Aber draußen lag heller Sonnenschein auf einer toskanischen Gartenanlage, in der Ferne rauschte das Meer und es roch nach Tomaten und frischem Kaffee. Das alles vertrieb die seltsamen Schatten.
»Maddalena«, sagte Flannery und nahm sich eins der Blätterteigteilchen, die die Haushälterin gerade aus dem Ofen gezogen hatte. »Darf ich Sie etwas fragen?«
Maddalena rieb ihre Hände an der Schürze und sah sie abwartend an. Flannery fuhr fort: »Signor Hugo - was ist ihm zugestoßen?«
Die schwarzen Augen der älteren Frau verengten sich, ihr Blick flackerte beinahe ängstlich. »Signor Hugo«, wiederholte sie. »Dieser schreckliche Unfall. Er war nicht schuld, er leidet so sehr darunter.« Sie rang die Hände, offensichtlich zu aufgewühlt, um sich klar ausdrücken zu können. »Es war nicht seine Schuld«, wiederholte sie. »Oh, was für ein Unglück. Der alte Signor Conte hat sich nicht mehr davon erholt. Er hat so an der lieben jungen Signora gehangen!« Sie hob die Schürze an die Augen und tupfte sich die Tränen ab, die über ihre Wangen zu laufen begannen.
Flannery schwirrte der Kopf. Was für eine Signora und was hatte das alles mit Hugos Unfall zu tun? Sie befragte die Haushälterin, aber Maddalena war zu aufgewühlt, um mehr als ein paar von Seufzern zerrissene Sätze herauszubringen, aus denen Flannery nicht recht schlau wurde. So weit sie es sich aber zusammenreimen konnte, war Hugo mit dem Auto verunglückt und Maddalenas tränenreicher und konfuser Erzählung nach war dabei eine junge Frau ums Leben gekommen. Hugos Frau? Die Enkelin des alten Grafen? Flannery versuchte, das aus Maddalena herauszubekommen, aber die Haushälterin war nun vollkommen außer Fassung und bevor Flannery sie beruhigen konnte, trat Dawkins ein.
»Was ist denn hier los?«, fragte er und griff nach der Teekanne. »Heulen und Zähneklappern am frühen Morgen? Ist dir das Rührei angebrannt, Maddalena?«
Der ironische Klang seiner Stimme ließ die Tränen der Haushälterin schneller versiegen als Flannerys
Weitere Kostenlose Bücher