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Total verhext

Total verhext

Titel: Total verhext Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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und groß zu sein schien wie ein galvanisierter Wassertank – fiel rückwärts vom Stuhl und lachte. Die junge Fremde – zumindest sah sie jünger aus als die anderen beiden – schlug so nach den Stieren, als seien sie aufdringliche Gänse, die es zu verscheuchen galt.
    Wenige Sekunden später verwandelte sich das Durcheinander in ein Chaos. Verwirrte Tiere schnaubten, und erschrockene junge Männer schrien. Es mag recht lustig sein, seinen Mut zu beweisen, indem man zwanzig Stieren nachrennt – die Sache sieht jedoch ganz anders aus, wenn die Stiere plötzlich beschließen, in die andere Richtung zu laufen.
    Der Wirt stand in der Geborgenheit seines Schlafzimmers am Fenster, beobachtete das Geschehen fassungslos und hörte, wie sich die entsetzlichen Frauen irgend etwas zuriefen. Die Pummelige lachte und stieß eine Art Schlachtruf aus: »VersuchsmitdemReiterwortEsme!« Die Junge bahnte sich einen Weg durch die Masse der Tiere, als sei sie von Natur aus davor gefeit, in Stücke gerissen zu werden. Sie näherte sich dem größten Stier und nahm ihm die Rosette ab, kaum besorgter als ein altes Mütterchen, das der geliebten Katze einen Dorn aus der Pfote zieht. Sie hielt das Objekt unschlüssig in der Hand und schien gar nicht zu wissen, was sie damit anfangen sollte …
    Die plötzliche Stille hatte sogar Wirkung auf die Stiere. Ihre winzigen, von heißem Blut durchströmten Gehirne kamen zu dem Schluß, daß irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Verlegenheit machte sich in ihnen breit.
    Zum Glück gingen die gräßlichen Frauen nachmittags an Bord eines Schiffes. Vorher rettete eine von ihnen ihren Kater, der zweihundert Kilo Stier in die Enge getrieben hatte und sich anschickte, den Gegner per Schulterwurf zu Boden zu schmettern.
    An jenem Abend war Lagro te Kabona äußerst freundlich zu seiner Mutter.
    Im nächsten Jahr veranstaltete das Dorf ein Blumenfest, und die »Sache mit den Stieren« wurde nie wieder erwähnt.
    Zumindest nicht in Gegenwart von Männern.
     
    Das große Schaufelrad platschte durch die dicke, braune Suppe des Flusses. Die Antriebsenergie lieferten mehrere Dutzend Trolle, die unter einer Markise auf einem breiten Endlosband marschierten. Vögel zwitscherten in den Bäumen an fernen Ufern. Hibiskusduft wehte übers Wasser und schaffte es leider nicht ganz, den Geruch des breiten Stroms zu überlagern.
    »So gefällt es mir schon besser«, sagte Nanny Ogg.
    Sie streckte sich im Liegestuhl, drehte den Kopf und sah zu Oma Wetterwachs, auf deren Stirn tiefe Falten die hohe Konzentration beim Lesen zeigten.
    Ein schelmisches Lächeln zog Nannys Lippen in die Länge.
    »Weißt du, wie man diesen Fluß nennt?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Er heißt Vieux-Strom.«
    »Ja?«
    »Weißt du, was das bedeutet?«
    »Nein.«
    »Der alte (männliche) Fluß«, erklärte Nanny. »Ja?« »Im Ausland haben Wörter ein Geschlecht«, fügte Nanny hoffnungsvoll hinzu.
    Oma reagierte nicht.
    »Das überrascht mich kaum«, murmelte sie.
    Nanny zögerte enttäuscht. »Das ist eins von Desideratas Büchern, nicht wahr?« »Ja«, bestätigte Oma Wetterwachs. Sie leckte würdevoll an ihrem Daumen und blätterte um.
    »Wo steckt Magrat?«
    »Hat sich in ihrer Kabine hingelegt«, antwortete Oma.
    »Bauchweh?«
    »Diesmal ist es der Kopf. Und jetzt sei still. Ich versuche zu lesen.«
    »Worüber?« fragte Nanny fröhlich.
    Oma Wetterwachs seufzte und preßte den Finger auf die Seite, um sich die aktuelle Stelle merken zu können. »Über das Ziel unserer Reise«, meinte sie. »Gennua. Desiderata nennt es einen dekadenten Ort.«
    Nanny Ogg lächelte unverändert.
    »Ja?« erwiderte sie. »Das ist gut, nicht wahr? Ich bin nie zuvor in einer richtigen Stadt gewesen.«
    Oma Wetterwachs überlegte. Schon seit einer ganzen Weile dachte sie darüber nach, und noch immer war sie nicht ganz sicher, was »dekadent« bedeutete. »Deka« und »dent« schienen zu sagen, daß es um »zehn« und vielleicht auch um »Zähne« ging, aber irgend etwas in ihr sträubte sich gegen die Vorstellung einer Stadt mit zehn Zähnen. Was auch immer dahintersteckte: Desiderata hatte es der Erwähnung für nötig gehalten. Für gewöhnlich mißtraute Oma Büchern als verläßliche Informationsquelle, aber jetzt blieb ihr keine Wahl.
    Sie ahnte, daß »dekadent« bedeuten mochte, die Vorhänge den ganzen Tag lang nicht zu öffnen.
    »Darüber hinaus heißt es hier, es sei eine Stadt von Kunst, Geist und Kultur.«
    »Dann fühlen wir uns dort

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