Total verhext
schulterfreies Kleid genügte, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.«
»Erst die Schultern frei, und dann alles frei, und dann ins Gras, wenn ich mich recht entsinne«, brummte Oma. »Nun, sie benutzte Magie. Und nicht einmal gewöhnliche. Oh, sie war eigenwillig.«
Nanny war bereit zu sagen: Was? Soll das heißen, sie war nicht so nachgiebig und zurückhaltend wie du? Sie verbiß sich diese Antwort – in einer Fabrik für Feuerwerkskörper spielte man besser nicht mit Streichhölzern.
»Die Väter von jungen Männern kamen und beschwerten sich«, fügte Oma finster hinzu.
»Sie kamen nie, um sich über mich zu beschweren«, warf Nanny ein.
»Und dauernd betrachtete sie sich in Spiegeln«, sagte Oma Wetterwachs. »War so stolz wie eine Katze. Sah lieber in den Spiegel als aus dem Fenster.«
»Wie heißt sie?«
»Lily.«
»Ein hübscher Name«, meinte Nanny.
»Heute nennt sie sich anders«, ließ sich Frau Gogol vernehmen.
»Kann ich mir denken!«
»Und sie hat jetzt in Gennua das Sagen?« vergewisserte sich Nanny.
»Sie war auch herrisch!«
»Was kann ihr daran gelegen sein, über eine Stadt zu herrschen?« fragte Nanny Ogg.
»Sie hat Pläne«, antwortete Frau Gogol.
»Hinzu kommt Eitelkeit, eitle Eitelkeit!« teilte Oma Wetterwachs der Welt im großen und ganzen mit.
»Wußtest du, daß deine Schwester hier ist?«
»Ich hatte so ein Gefühl! Wegen der Spiegel!«
»Spiegel-Magie ist eigentlich gar nicht so übel«, wandte Nanny ein. »Ich habe mit Spiegeln alle möglichen Dinge angestellt. Sie bringen viel Spaß.«
»Sie benutzt nicht nur einen Spiegel«, sagte Frau Gogol.
»Ach.«
»Sie verwendet zwei.«
»Oh. Das ist ein Unterschied.«
Oma starrte ins schwarze Wasser. Ihr Spiegelbild erwiderte den durchdringenden Blick.
Sie hoffte jedenfalls, daß es ihr Spiegelbild war.
»Auf dem Weg hierher habe ich immer wieder gespürt, daß uns meine Schwester beobachtet«, sagte Esme. »Im Inneren von Spiegeln ist sie glücklich und verstrickt andere Personen ins Gespinst von Geschichten.«
Sie stieß einen Stock ins Wasser und in ihr Spiegelbild. »In Desideratas Haus hat sie mich angestarrt, kurz bevor Magrat hereinkam. Ist alles andere als angenehm, im eigenen Abbild jemand anderen zu sehen …«
Oma zögerte kurz. »Übrigens, wo ist Magrat?«
»Ich glaube, sie nimmt ihre Pflichten als gute Fee wahr«, erwiderte Nanny. »Angeblich braucht sie überhaupt keine Hilfe.«
Magrat ärgerte sich. Und gleichzeitig prickelte Furcht in ihr, worüber siesich noch mehr ärgerte. Eine von Ärger erfüllte Magrat bereitete anderen Leuten gewisse Probleme. Es war, als würde man von feuchtem Seidenpapier angegriffen …
»Ich gebe dir mein ganz persönliches Ehrenwort«, sagte sie. »Du brauchst nicht zum Ball, wenn du nicht willst.«
»Du kannst sie unmöglich aufhalten«, jammerte Ella. »Ich weiß, wie’s in dieser Stadt zugeht.«
»Um es noch einmal zu wiederholen …« Magrat versuchte, die Ruhe zu bewahren. »Du brauchst den Ball nicht zu besuchen.«
Sie musterte die junge Frau nachdenklich.
»Gibt es zufälligerweise jemand anderen, den du heiraten möchtest?« fragte sie.
»Nein. Ich kenne nur wenige Leute. Ich bin die meiste Zeit über allein.«
»Gut«, sagte Magrat. »Dadurch wird alles einfacher. Ich schlage vor, du verläßt das Haus und suchst einen … anderen Ort auf.«
»Es gibt keinen anderen Ort für mich. Abgesehen vom Sumpf. Ich habe mehrmals zu fliehen versucht, aber die Kutscher holten mich zurück. Sie waren nicht unhöflich. Die Kutscher, meine ich. Sie hatten nur Angst. Alle haben Angst. Selbst die Schwestern, glaube ich.«
Magrats Blick wanderte zu den Schatten.
»Wovor?« erkundigte sie sich.
»Es heißt, daß Leute einfach verschwinden, wenn sie den Herzog verärgern. Irgend etwas geschieht mit ihnen. Oh, in Gennua sind alle sehr nett«, fügte Ella bissig hinzu. »Niemand stiehlt. Niemand hebt die Stimme. Am Abend bleiben alle hübsch brav zu Hause. Der Dicke Dienstag bildet die einzige Ausnahme.« Sie seufzte. »Daran würde ich gern teilnehmen. Am Karneval. Aber sie erlauben es mir nicht. Ich muß immer hierbleiben. Ich höre, wie draußen in den Straßen gefeiert wird, und denke dabei: So sollte Gennua sein. Ich stelle mir vor, wie überall getanzt wird, nicht nur im Palast.«
Magrat schüttelte sich. Sie hatte plötzlich das Gefühl, sehr weit von zu Hause entfernt zu sein.
»Vielleicht benötige ich ein wenig Hilfe«, murmelte sie.
»Du hast einen
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