Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
veranlagt ändert Saint-Croÿ seine Pläne. Sein Ziel ist die Vermarktung durch die Medien, also wird er seine Kraft darauf verwenden. Da man ermordet werden muss, um zu existieren, entschließt er, übers Internet einen belgischen Waffenhändler zu kontaktieren, zu dem er fährt, um ihm die Manurhin abzukaufen. Dann stellt er sich bei der Polizei vor, erfindet Drohungen und einen Mordversuch, den er zusammen mit Joa inszeniert. Das Resultat erfüllt alle seine Erwartungen: Die Medien interessieren sich für das Rätsel des Sonetts. Und für seine Opfer. Und weil er ein echtes Sonett braucht, um die Massen in Wallung zu versetzen, wird Louis das Gefälschte für echt erklären. So kommt er in die Schlagzeilen.
» Ah, der Ruhm der Medien!«, brummte Viviane.
Aber Joa war noch nicht fertig. Sie ließ sie weiterreden.
Als der Lieutenant entscheidet, eine grafologische Expertise anfertigen zu lassen, findet Louis Saint-Croÿ die passende Antwort darauf, indem er eine zweite Fälschung anfertigt. Die Expertise wird natürlich zu dem Schluss kommen, dass beide Texte aus derselben Feder stammen. Später würde er das Originalmanuskript von der großherzigen Magd vom Verkauf zurückziehen, damit man es nicht doch eines Tages mit der Fotokopie vergleichen könne. In diesem Perfektionismus wird er sich verlieren.
Währenddessen ermordet der Unbekannte die Grafologin. Ein unverhoffter Glücksfall für die Medien und für Louis, der die Schlagzeilen weiterhin bedient. Er muss nicht einmal Drohungen aussprechen. Sobald die Journalisten der Öffentlichkeit neue Namen liefern, begnügt er sich damit, diese am Telefon zu belästigen. Er zieht durch die öffentlichen Telefonzellen und tätigt anonyme Anrufe. Der Einzige, den er in Frieden lässt, ist Cucheron, dessen Name noch nicht öffentlich gemacht wurde. Aber auch der wird mit Briefen bedroht, und als Saint-Croÿ das erfährt, meint er, das müsse das Werk des unbekannten Mörders sein. Die Psychose bricht los, die Medien sind umtriebig, der Laden brummt. Man spricht nur noch von dem Sonett. Saint-Croÿ und seine Sammlung werden die Stars der Nachrichten.
» Dann haben Sie alles verkompliziert«, sagte Joa in rachsüchtigem Ton. » Sie haben sich damit gebrüstet, eine Spur zu haben. Um den Verdacht von sich abzulenken, bat Louis mich, vor die Metro zu springen.«
Die Kommissarin nickte, fast schuldbewusst, und machte Joa ein Zeichen fortzufahren.
Dann kommt die Fernsehshow. Louis setzt alles auf eine Karte. Er bereitet eine Tasche mit einer manipulierten Granate vor. Er kommt früher als die anderen und bleibt am Studioeingang stehen, um alle zu begrüßen und seine offene Tasche dort abzustellen. Während des Cocktails lässt er seine Tasche bei der Garderobe herumliegen, zu Füßen der Gäste. So würde jeder in den Verdacht geraten können, das mörderische Geschenk in dem einen oder anderen Augenblick dort abgelegt zu haben. Ihm bleibt nur ein Vorwand abzuwarten, um seine Tasche zu holen. Der bietet sich ihm, als er von dem rosa und schwarzen Juwel zu sprechen beginnt.
Das Medienecho ist fantastisch, der Verkauf in Drouot ein voller Erfolg. Erst als die Kommissarin und der Lieutenant ankommen, als sie gerade nach Holland fliegen wollen, um das gebührend zu feiern, ist das Spiel verloren.
» Warum Holland, Joa?«
» Weil Baudelaire das Land sehr liebte, wissen Sie:
Dort ist Schönheit und Genuss,
Ordnung, Stille, Überfluss.«
» Nein, das wusste ich nicht.«
Wenn jetzt schon Putzfrauen die Kommissarin in Literatur unterwiesen, wo kam man denn da hin!
Zunächst würde man ins Krankenhaus kommen, denn endlich ertönte unten vor dem Haus die Sirene. Und weil Joa so gut erzählen konnte, sollte sie Viviane noch die Auflösung erzählen: » Und der Mord an Astrid Carthago?«
» Das waren wir nicht. Genauso wenig wie wir etwas mit dem Obdachlosen zu tun haben, mit Ihrer Vergiftung, oder Élisabeth Blum– das muss der andere sein, der Mörder, von dem die Zeitungen sprechen.«
Sie hatte das so unaufgeregt gesagt, als werfe man ihr vor, dreckige Fußspuren auf dem Teppich hinterlassen zu haben. Es gab also nicht den Sonett-Fall, sondern die Sonett-Fälle. Aber wer war der andere, der Mörder, der Spinner?
In der Notaufnahme von Pitié-Salpêtrière untersuchte der Arzt kopfschüttelnd den Leichnam von Saint-Croÿ, dann stirnrunzelnd den Körper von Monot. Er erklärte ihnen, dass der Lieutenant viel zu viel Blut verloren habe, was die Sache nicht einfacher
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