Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
Stimme zu orten. Schließlich erkannte er auf der Böschung gegenüber unter der Brücke eine Gestalt, die ebenso zu kauern schien wie er. Eine andere Haltung war auch gar nicht möglich. Die glühende Spitze einer Zigarette ließ für einen Moment das Gesicht des Kommentators erkennen. Kuhala stimmte der Einschätzung zu.
»Hat heute Morgen in der Zeitung gestanden«, erklärte der Mann.
»Kann sein«, sagte Kuhala.
»Ich meine nur, es ist auch verdammt krank, zum Gaffen hierherzukommen.«
Die Kippe flog wie ein Glühwürmchen ins Wasser, man hörte ein leichtes Zischen. Kuhala versuchte den Blick zu schärfen. Er war nicht recht in der Stimmung, um das Verhalten der Menschen zu missbilligen, zumal der Gesprächspartner seine Themen im Unsichtbaren ausbreitete und die Stimme mal an dieser und mal an jener Stützkonstruktion der Brücke Anlauf zu nehmen schien.
»Unsere Zivilisation liegt in den letzten Zügen, so wie die Frau, bevor das Ende kam. Um das zu erkennen, braucht man keine Hochschulbildung. Wir sind an der Schwelle einer Umbruchzeit angelangt, und bald werden hundert Millionen Menschen mit dem Kopf voran über diese Schwelle in die Hölle stürzen. Oder eine Milliarde. Hören Sie, diese verdammte Ratte dort ist vielleicht die einzige auf dem Breitengrad von Jyväskylä, die weiterplanscht, wenn es mal richtig losgeht.«
Die Verkomplizierung des Themas war dazu angetan, Kuhalas Redelust weiter zu dämpfen. Er hatte zumindest einem ebenso begabten Endzeitfanatiker in der Innenstadt lange genug zugehört, wo verschiedene halb verrückte Apokalyptiker diverser Religionsgemeinschaften und philosophischer Richtungen den Weltuntergang predigten, und er hatte über das Thema immerhin auch Artikel gelesen, die Fakten enthielten.
Dennoch hatte er keine Lust, den regensicheren Ort zu verlassen. Der andere verstummte, nach einiger Zeit war nichts mehr von ihm zu sehen. Kuhala überlegte, ob er unter die Sarvijärventie-Brücke wechseln sollte, widerrief die Absicht aber, weil der Regen immer stärker wurde und das Grau sich ständig zu verdichten schien. Eigentlich sollte das die hellste Zeit des Jahres sein – womöglich rückte das Ende der Welt doch näher.
Trotz allem setzte er dann doch die Kapuze auf und kroch unter der Brücke hervor. Die Wolken hingen so tief, dass man das Gefühl hatte, ihnen Flaum von den Bäuchen pflücken zu können. Er schlitterte über den glitschigen Weg, schnappte sich das Fahrrad und schleppte es zu Eero Jokelas Ruderboot.
Der Weg war glitschig, ein Fehltritt, und er wäre im See gelandet. Er warf den Kopf zurück, weil ihm die Kapuze über die Augen gerutscht war, und versuchte gleichzeitig, das nasse Fahrradgestänge besser in den Griff zu bekommen.
Der Schlag war auf den Hals gerichtet, aber da Kuhala gerade kurz ins Rutschen kam, landete der Treffer auf einem Schulterblatt. Er fiel nach vorne, das Fahrrad rutschte ihm aus den Händen und krachte gegen Jokelas Boot.
»Was soll der Sch…«
Jemand stürzte sich auf ihn. Kuhala spürte den Schmerz in Nacken und Knie, sein Gesicht wurde in den Matsch gedrückt. Der Angreifer war stark und schaffte es, Kuhalas eine Hand außer Gefecht zu setzen, in dem er mit dem Fuß darauf trat. Wasser und Schlamm spritzten auf, die klatschnasse, bodennahe Perspektive löste Angst in ihm aus, aber mit zunehmender Angst erwachte die von seiner Mutter ererbte dörfliche Fähigkeit zur Wut. Eines ihrer tragenden Elemente war die Unnachgiebigkeit, und weil diese nur selten ihr Haupt erheben musste, steckte sie voller Sprengstoff.
Der Angreifer versuchte, Kuhalas Kopf so fest auf den Boden zu drücken, dass der Detektiv Lehmschlamm in die Luftröhre bekommen und ersticken würde. Kuhala stöhnte. Dann machte er eine abrupte Bewegung mit dem Becken und schlug mit der frei gebliebenen Hand nach hinten aus. Trotz seiner ungünstigen Position legte er seine ganze Schlagkraft und Elastizität in diesen Versuch, all das, was er sich am Sandsack antrainiert hatte, und gleich darauf merkte er, dass er getroffen hatte.
Der Griff im Rücken wurde lockerer. Kuhala schlug erneut zu, drehte sich auf die Seite und weiter auf den Rücken. Seine Hände hämmerten blitzschnelle Geraden in die Luft. Er spuckte den Lehm aus und schnellte hoch, um entgegenzunehmen, was ihm geboten wurde, diesmal jedoch in Bereitschaft. Er war von Kopf bis Fuß verdreckt, der Regenumhang hing ihm nur noch in Fetzen am Leib, sein Gesicht war zur Grimasse verzerrt – er sah
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