Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
inzwischen vermutlich sämtliche Anlieger in der Saarijärventie aufgesucht hatte, zumindest die mit Seegrundstück. »Auch Vikman werden sie bereits befragt haben. Das wissen Sie so gut wie ich, Sie kennen die Branche ja auch.«
»Der Mann schreckt vor der Polizei nicht zurück.«
»Vielleicht ist Erschrecken auch nicht die beste Art, sich ihm zu nähern.«
»Setzen Sie Vikman unter Druck. Sie erhalten von mir jede Unterstützung.«
»In dem Fall würde ich Sie bitten, einen Abschleppwagen für meinen Corolla zu organisieren. Der steht immer noch in Ihrer Nähe auf dem Parkplatz des Altersheims. Rot und alt. Eine Werkstatt würde auch nicht schaden, ich glaube, es hat die Batterie erwischt. Natürlich kann ich auch die Abschleppfirma anrufen, aber was die Kosten betrifft …«
Jokela bat um das Kennzeichen des Corolla und rief seine Sekretärin an. Anschließend klappte er sein Handy zu und steckte es in die Innentasche seiner Jacke. Sein zwanghaftes Verhalten kippte schließlich um, als er auf das Thema Beerdigung zu sprechen kam – da zitterte seine Stimme, und er brachte den Satz nicht zu Ende.
Das Schluchzen schüttelte seinen ganzen Oberkörper, und aus dem Mund kamen prustende Geräusche. Kuhala reichte ihm ein Taschentuch.
»Wie habe ich diese Frau geliebt!«, sagte Jokela, machte sich dann aber auf den Weg, bevor Kuhala ein Wort des Trostes aussprechen, geschweige denn auf die Möglichkeit hinweisen konnte, dass unter Umständen ein Mietwagen zu den laufenden Kosten zählte, bis der Corolla repariert war.
Kuhala schob die Broschüre und das Bestellformular für den Geckograbstein in die Schreibtischschublade, trank Instantkaffee, aß ein Hörnchen und stand eine Weile am Oberlicht, in dem vergeblichen Versuch, aus Jokelas Griff nach dem Portemonnaie und dem Heulanfall etwas herauszulesen, was sich nicht mit Trauer erklären ließ.
Nach einiger Zeit zog er seinen alten blauen Regenumhang über und ging zum Fahrradständer im Hof, um das alte Monarch-Rad seines Sohnes Tatu aufzupumpen.
Tatu brauchte es nicht mehr. Er studierte so viele verschiedene Fächer an der humanistischen Fakultät der Helsinkier Universität, dass Kuhala längst nicht mehr mitkam. Vater und Sohn schickten sich gegenseitig SMS – der Vater dem Sohn auch Geld, sofern seine Möglichkeiten es ihm erlaubten – und telefonierten auch schon mal, aber seit der letzten Begegnung waren schon fast vier Monate vergangen.
Tatus Mutter Leena hatte im Mai wieder geheiratet, aber das war für Kuhala ein so heikles Thema, dass er sich weigerte, daran zu denken, und unbewusst hoffte, dem jungen Paar nicht versehentlich über den Weg zu laufen. Einmal hatte er Leenas neuem Mann in der Kantine des Zentralkrankenhauses die Hand gegeben, weil er nicht rechtzeitig hatte flüchten können, aber es war ihm gelungen, diesen Vorfall so weit zu verdrängen, dass er sich nicht einmal genau daran erinnerte, wie der Mann ausgesehen hatte.
Er wusste auch nicht, wo Leena hingezogen war, vermutlich an den Stadtrand, in eine neue Siedlung.
Eines wusste er allerdings: Es würden Jahre vergehen, bis die Wunde der Scheidung bei ihm vernarbt wäre.
»Bist du Polizist?«
»Nein. Wieso?«
»Meine Mama sagt, du bist in der Zeitung gewesen, weil du Gauner geschnappt hast.«
Der kleine Junge wischte sich mit dem Ärmel die Nase und sah Kuhala unter seiner Kapuze heraus mit ernsten Augen an. Auf dem Ball, den er sich unter den Arm geklemmt hatte, tanzte eine verblasste Giraffenherde, die Schnürsenkel seiner Turnschuhe waren offen.
»Vielleicht hat sich deine Mutter ein bisschen geirrt und in der Zeitung jemanden gesehen, der so ähnlich aussieht. Ich bin Privatdetektiv. Und ich heiße Otto.«
Das lange, komplizierte Wort brachte den Jungen dazu, den Kopf schief zu legen. Ein Bügel seiner Brille war mit Klebeband repariert worden. Er wiederholte Kuhalas Berufsbezeichnung halblaut und nachdenklich und auch ein wenig verlegen. »Spielen wir?«
»Okay. Warte, ich schraube noch die Ventilkappe fest.«
Der Mund des Jungen bildete auch dieses neue, fremde Wort nach.
Dann ließ er den Ball fallen und schoss ihn Kuhala ins Gesicht. Dabei löste sich der Turnschuh und schepperte gegen das Fahrradschutzblech, der Junge landete mit dem Po auf dem nassen Gras und bohrte ernst in der Nase, wobei er auf den große Zeh schaute, der aus seinem Strumpf lugte. »Wir sind gerade erst hergezogen.«
»Das dachte ich mir schon, weil ich dich noch nie gesehen habe.«
Kuhala
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