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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Grundrenovierung im Jahre 2009 gewesen. Sie kannte den Weg auswendig, sie kannte jeden Pier, jeden Hafenarbeiter. Früher war sie im östlichen Mittelmeer eingesetzt worden, wo es abwechslungsreicher gewesen war, aber dort kreuzte jetzt die größere und jüngere MS Mystery.
    Der erste Transferbus rollte auf den   Cruise Terminal , steuerte die   Stazione Marittima   an und kam auf der vorgeschriebenen Parkfläche zum Stehen. Die Chef-Stewardess begab sich am Eingang des Decks Aurora, auf dem sich die Rezeption befand, in Position, zupfte noch einmal an ihrem dunkelroten Nicki-Tuch und machte ein freundliches Gesicht. Aber beim Anblick des ersten Passagiers, der breitbeinig und mit rudernden Armen über die Gangway an Deck stolperte, fielen ihre Mundwinkel herab.
    Er trug eine beigefarbene Cordjacke mit Flicken auf den Ellbogen, eine ausgebeulte, schwarze Hose und Turnschuhe, aus denen seine Füße quollen. Die Zeit, in der sein T-Shirt schwarz gewesen war, musste lange zurückliegen. Über seiner Schulter hing eine große, abgewetzte Schultertasche, aus der zwei Papierrollen ragten. Auf seinem Kopf balancierte er eine schwarze Baskenmütze, darunter hingen ihm fusselige, mittelblonde Haare wie ein Fransenvorhang um die Ohren.
    »Tach!«, rief er und warf einen Haufen verknitterter Papiere auf die Theke aus rosa Granit. »Ich hab hier ein Zimmer reserviert!« Sein Mund war von einem struppigen Schnurrbart überwuchert.
    Ein Ruck ging durch das vierköpfige Empfangskomitee. Man blickte sich hilflos an und blätterte mit gerunzelten Augenbrauen durch den Papierhaufen.
    »Herr ...?«, fragte schließlich eine der Stewardessen, Annika, wie auf dem kleinen Schild stand, das sie an ihrer dunkelroten Weste trug, und versuchte ihr Entsetzen unter Kontrolle zu bringen.
    »Schramm!«, sagte der Mann und stand stramm. Er streckte seine Hand aus, seine Fingerkuppen waren voller rostroter Farbkleckse. »Dr. Edgar Schramm! Wie wäre es mit einem Schlüssel?!«
    »Moment, ich ...« Annika musterte ihn fassungslos, als habe er sich im Terminal geirrt und könne höchstens drüben auf einem der Containerschiffe angeheuert haben. »Entschuldigung, aber ...«
    »Mach voran, Mädchen, ich muss mich was hinlegen, ich bin seit heute früh auf den Beinen.«
    »Sofort, Herr Dr. Schramm. Ich sehe nur schnell nach, welche Kabine Sie reserviert haben.«
    Ungläubig durchforstete sie die Anmeldelisten. Ihre drei Kolleginnen halfen. Man steckte die Haarschöpfe zusammen, zwei blonde, einen roten, einen braunen, und man tuschelte.
    Guido Schramm spazierte unterdessen ungeduldig hin und her, und die beiden Papierrollen wischten hinter seinem Rücken Staub, wo keiner war. Er hatte schon im Bus feststellen müssen, dass er nicht gerade overdressed war. Aber er war Künstler und nicht gewöhnt, sich anzupassen, besonders nicht in Kleidungsfragen. Das hatte er in seinem Beruf als Designer nicht nötig, abgesehen davon, dass ihm die Mittel dazu fehlten, da seine Auftragslage aufgrund seiner kompromisslosen Exzentrik lau war. So machte er aus der Not eine Tugend und gefiel sich zunehmend in der Rolle des viel beachteten Außenseiters.
    Kopfschüttelnd blickte er sich in der Rezeption um und kratzte sich am Schnurrbart. »Wat simmer vornehm!«, meinte er und rüttelte an Messinggriffen, hinterließ seine Fingerabdrücke auf Glas- und Spiegelflächen, nahm kurz in einem der roten Samtsessel Platz, sprang auf, bewunderte eine Tür, die sich automatisch vor ihm öffnete, begutachtete naserümpfend ein Ölgemälde, hob eine Skulptur auf und stellte sie an einen anderen Platz und versuchte den Wasserspender in Gang zu setzen.
    »Tach!«, rief er, als ein Paar – sportlich elegant im Partnerlook – das Deck betrat und mit einer Wasserfontäne begrüßt wurde.
    »Huch!« Die beiden zuckten zurück. Ein Sprühnebel landete auf ihren hellblauen Poloshirts und hinterließ dunkle Flecken. Man schüttelte die blondierten Föhnfrisuren und nahm die Sonnenbrillen ab, beide von D & G.
    Auf die ersten folgten weitere Passagiere, ähnlich sportlich elegant ausstaffiert, und drängelten sich an der Rezeption.
    »Moment!«, Guido Schramm stieß die Hinzugekommenen beiseite. »Ich bin zuerst dran!«
    »Sie haben Kabine L 164«, sagte Annika eilig. Während ihre Kolleginnen sich um die anderen Passagiere kümmerten, nahm sie ihn beiseite und drückte ihm eine Chipkarte und einen Schiffsführer in die Hand.
    »Und der Schlüssel?«
    »Diese Karte ist Ihr Schlüssel, Herr

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