Tote gehen nicht
abgewetzte Schultertasche auf seinen Schreibtisch und schlug den Deckel zurück. Zwei Papierrollen ragten aus einem Knäuel Wäsche hervor.
»Der Dampfer ist jetzt auf dem Weg nach Barcelona. Ich war noch nie in Barcelona«, jammerte Guido
»Ich auch nicht«, meinte Sonja.
»Und von Barcelona geht es nach Genua. Es wären nur noch zwei Tage gewesen! Hätten Sie mich nicht die letzten beiden Tage noch in Ruhe lassen können?«
»Ts, ts, ts«, machte Roggenmeier. »Mit falschen Papieren zu reisen, ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Straftatbestand. Sie können froh sein, überhaupt bis Alicante gekommen zu sein. Sie stehen nämlich in dem Verdacht, Ihrem Bruder Edgar ein Alibi verschafft haben zu wollen.«
»So ein Quatsch!«
»Ts, ts, ts«, machte Roggenmeier wieder. »Einem vermeintlichen Doppelmörder ein Alibi zu geben, ist ebenfalls ein Straftatbestand.«
Da Schramm die Bezeichnung Doppelmörder gelassen aufnahm, musste Sonja davon ausgehen, dass Roggenmeier oder Wesseling ihn vor ihrem Eintreffen über die vermeintlichen Untaten seines Bruders und den Grund seiner Festnahme aufgeklärt hatten.
Wesseling räusperte sich, ehe er sagte: »Aufgrund Ihrer Reiselust, Herr Schramm, besteht Fluchtverdacht, und wir müssen Sie vorläufig in U-Haft nehmen. Sobald der Haftbefehl eingetroffen ist, den uns der Haftrichter jeden Moment zustellen wird, werde ich ihn über Sie verhängen.«
»Ich soll ins Gefängnis?«, rief Guido entsetzt. »Und mein Bruder läuft frei herum? Wie finde ich das denn? Das ist aber so was von ungerecht.«
»Sobald wir ihn gefasst haben, wird er Ihnen Gesellschaft leisten«, versprach Wesseling.
»Da freu ich mich schon drauf.«
»Abführen!«, befahl Wesseling.
Roggenmeier zog Guido Schramm auf die Füße. Er riss die Tür auf und befahl den Wachmann herein. »Abführen.«
Der Wachmann ließ die Handschellen zuschnappen und stieß Schramm hinaus.
Im Türrahmen fragte Sonja ihn beiläufig: »Wandern Sie eigentlich auch so gern wie Ihr Bruder?«
»Ich? Wandern?« Guido schüttelte entsetzt den Kopf. »Ich bin Künstler, was denken Sie von mir?!«
»Das habe ich gehofft.«
Kaum war die Tür hinter Guido Schramm und dem Wachmann ins Schloss gefallen, fischte Sonja nach ihrem Zigarettenetui, schob sich einen neuen Strohhalm zwischen die Lippen und kaute wild und ungeduldig darauf herum. Mit einer Mischung aus Verwunderung und Belustigung hing Wesselings Blick an ihrem Mund.
»Sie gewöhnt sich das Rauchen ab«, erklärte Roggenmeier.
»Je nun«, meinte Wesseling mit ungläubigem Lächeln.
»Genau«, sagte Sonja und wandte sich ebenfalls zum Gehen.
»Warten Sie«, rief Wesseling. »Was machen eigentlich Ihre beiden Bonner Kollegen?«
»Wandern.«
»Und wo?«
»Da, wo Dr. Edgar Schramm wandert, hoffe ich doch.«
»Und woher wissen Sie, wo er im Moment ist?«, fragte Wesseling.
»Sie wissen es nur halbwegs«, gab sie zu. »Irgendwo um Steinfeld herum auf dem Eifelsteig. Auf Wiedersehen.«
»Warten Sie!«, hielt Roggenmeier sie auf. »Was wollten Sie vorhin mit dieser seltsamen Frage an Guido Schramm sagen? Er wird demnächst keine Zeit zum Wandern haben, wenn ich das richtig sehe«.
»Ich hatte da nur so eine Idee.«
»Ich glaube, ich kann es mir fast denken«, spekulierte er. »Wenn Wandern für ihn eine Strafe ist, dann könnten wir das ausnutzen und ihn als eine Art Lockvogel benutzen.«
»Genau«, sagte Sonja. «
»Holen Sie Guido Schramm auf der Stelle zurück«, kommandierte Wesseling.
Im Büro herrschte eine Atmosphäre wie bei einem Kriegsgericht, bis es endlich klopfte. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf den Wachmann und Guido frei. Der Wachmann setzte sich wieder draußen auf seinen Stuhl neben der Tür, Guido stellte sich unaufgefordert wieder an dieselbe Stelle hinter der Tür, allerdings dieses Mal nicht mehr mit dem Gesicht zur Wand. Er starrte geradeaus ins Leere, wie ein Wachsoldat, dem es nicht gestattet war, seine Miene zu verändern, gleichgültig welche Faxen man vor ihm machte.
Sonja folgte seinem Blick und beobachtete den Vogelschwarm, der sich vor dem Fenster auf dem großen Baum niedergelassen hatte.
Wesseling stand auf und wanderte im Zimmer umher. »Herr Schramm.«
»Zu Diensten«, sagte Guido Schramm und stand stramm.
Wesseling zog pikiert eine Augenbraue in die Höhe. »Sie haben zwei Möglichkeiten. Entweder Sie verbringen die nächsten Tage, so lange bis wir Ihren Bruder Edgar gefunden haben, in einer ziemlich ungemütlichen
Weitere Kostenlose Bücher