Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)
Sein Englisch war sehr schlecht, das des Lieutenant auch nicht besser. Sie kommunizierten dementsprechend mühelos miteinander.
» Haben Sie die verkauft?«
» Ja, und ich bin der Einzige auf der ganzen Insel. Ich lasse sie aus Izmir kommen. Aber die roten habe ich nicht mehr. Ich habe andere, in anderen Farben. Sie stehen dort oben.« Er zeigte auf Türme von Schachteln auf den Schränken. Viviane hob den Kopf und setzte ein eigenartiges Lächeln auf: Ihr waren sie natürlich nicht aufgefallen.
» Danke, aber mich interessieren nur die roten.«
» Tut mir leid, ich habe vor rund zehn Tagen das letzte Paar verkauft.« Der alte Mann sah ins Innere des Schuhs und ergänzte: » Das war dieselbe Größe, 46. Ich hatte sie herabgesetzt, weil so große Größen sich schlecht verkaufen. Vielleicht waren es sogar genau diese.«
» Haben Sie die an eine junge Frau verkauft?«, fragte Willy.
» Nein, an einen französischen Herrn. Ich habe ihn noch darauf aufmerksam gemacht, dass sie ihm zu groß sein müssten, aber er hat sie gekauft, ohne sie anzuprobieren.«
Viviane sah zu ihrem Lieutenant: Er frohlockte. Sie sah, wie er sich verwandelte, Bulle wurde. Es war schön anzusehen, viel schöner als sämtliche Zehnkampfdisziplinen. Er hatte seine kleine Fuji aus der Tasche geholt und zeigte dem Händler die Fotos, die er seit seiner Ankunft gemacht hatte. Gewöhnliche Gruppenfotos, Fotos am Tisch, von Aufführungen, Portraits von Kokos und Kikis.
» Stopp, der war’s, der mit den roten Haaren.«
Willy reichte Viviane den Apparat. Animateur-Koko in seiner ganzen schändlichen Pracht, im weißen Kostüm, mit Mikro in der Hand.
» Der Dreckskerl, er hat uns an der Nase herumgeführt«, fauchte Viviane. » Kommen Sie, Willy, ich lade Sie auf einen Kaffee im Captain’s House ein.«
Sie hatten am selben Tisch Platz genommen wie letztes Mal, es war immer noch angenehm frisch, es herrschte dieselbe Stimmung, es waren fast dieselben Touristen da, aber alles war anders. Letztes Mal dachten sie noch, sie verstünden etwas, heute verstanden sie gar nichts mehr. Ihre Mutmaßungen gingen in alle Richtungen, das Puzzle war wieder durcheinandergeraten.
» Animateur-Koko hat die Sportschuhe für Königin gekauft, sie stecken also unter einer Decke«, fasste Viviane zusammen. » Und wenn er auch der Liebhaber wäre?«
» Das kann ich mir kaum vorstellen, Kommissarin. Alle Welt weiß, dass die sich hassen. Und ganz ehrlich«, sagte er mit skeptischem Gesichtsausdruck, » der als Verführer…«
Viviane bestellte ein Glas Wasser. Sie hatte keinen Durst, es war nur, um sich besser zu konzentrieren: Sie trank langsam, ganz langsam. » Können Sie sich an diese furchtbare Aufführung der Volkstänze erinnern? Dieses Pärchen, das sich vor den Musikern stritt und hinter ihnen herumknutschte?«
Willy nickte leicht mit dem Kopf, er verstand.
Viviane erklärte weiter, noch ohne zu wissen, wohin sie das führen sollte: » Nehmen wir einmal an, Königin und Animateur-Koko haben ein Verhältnis. Dann wird alles ganz einfach: Der eine bestätigt das Alibi des anderen. Animateur-Koko kann King ganz in Ruhe ermordet und versteckt haben, bevor der Bulle hereinkam und bevor sie ins Amphitheater zurückkehrten, und ich glaube auch zu wissen, wie. Ihr Kommen und Gehen passt nicht mehr zusammen, das Spiel ist vorbei.«
» Und was ist mit dem Henker?«
» Der ist sehr wichtig, der Henker, aber ich weiß nicht recht, was ich mit ihm anfangen soll. Er hat seinen Platz im Puzzle noch nicht gefunden.« Sie schloss die Augen, legte den Kopf in die Hände. Es sollte nicht theatralisch wirken, sie musste in ihre Erinnerungen abtauchen, eine Szene wachrufen, ihre Umstände. » Gehen wir, Willy?«
Auf dem Weg machte sie Halt in einer Buchhandlung und blätterte in einem Französisch-Griechischen Wörterbuch, dann in einem Griechisch-Türkischen. Sie schrieb sich ein Wort in Lautschrift auf. Willy hatte vor der Tür auf sie gewartet.
Als sie aus dem Laden trat, rief sie ihm zu: » Ich habe ein Wort gesucht und gefunden. Kukuleta, hübsch, nicht? Kukuleta , haben Sie das Wort schon einmal gehört? Nein? Ich auch nicht, stellen Sie sich vor. Obwohl das ein auffälliges Wort ist, eines, das man sich merkt, Kukuleta .« Der ratlose Blick von Cruyff machte sie glücklich. Sie verwandelte sich gerade wieder in Kommissarin Lancier, die Kriminalfälle löst.
Zehn Minuten später setzte das Taxi sie am Eingang zum Clubdorf ab. Willy stellte keine Fragen mehr, er
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