Totenacker
fest.
«Das habe ich auch gedacht. Zusammen nehmen es die beiden mit jedem auf der Welt auf. Die sollen nur kommen!»
«Das sind sie dann ja wohl auch …»
Britta Vermeer sah zum Fürchten aus: dunkle Ränder um die Augen, die Wangen eingefallen, die trockenen Lippen aufgesprungen.
«Tut mir leid», entschuldigte sie sich. «Der Kleine will alle drei Stunden gestillt werden. Ich weiß schon gar nicht mehr, ob Tag oder Nacht ist, manchmal nicht einmal, welches Jahr wir schreiben, und wenn meine Mutter nicht hier wäre, hätte ich vermutlich vergessen, wie ich heiße.»
Van Appeldorn konnte sich noch gut an die ersten Wochen mit Paul erinnern, daran, wie schlecht es Ulli gegangen war, aber er wusste nicht, was er sagen sollte.
Britta saß im Schneidersitz auf dem Sofa, die Arme dicht vor dem Körper verschränkt, so als wäre ihr kalt. Sie schaute vor sich hin. «Es ist alles so unwirklich.» Ihre Stimme klang belegt. «Ich weiß, dass Gereon nie mehr wieder durch diese Tür da kommen wird. Ich weiß, dass er tot ist. Aber richtig begreifen kann ich es nicht.» Sie blickte auf ihre Uhr. «Wir müssen uns ein bisschen beeilen. In spätestens einer Dreiviertelstunde hat Jasper wieder Hunger, und ich würde vorher gern noch duschen. Worum geht es denn?»
Schnittges raffte sich auf. «Ist eine holländische Firma an Sie und Gereon herangetreten, die hier einen Agropark anlegen will?»
«Ja, klar», antwortete Britta. «An alle Bauern in der Gegend. Kamen mit dem üblichen vollmundigen Versprechen: Wir würden alle Teil einer Genossenschaft, wovon besonders die kleinen Bauern profitieren würden. Mit dem Wort ‹Genossenschaft› kannst du die älteren Landwirte immer ködern. Die denken sofort an Raiffeisen, also muss das wohl was Gutes sein. Intensivlandwirtschaft, Unterglasanbau, Direktsaat, das ist alles nichts Neues. In Amerika und Asien gibt es das schon lange – auch in Holland. Aber dort sind die Bauern und die Umweltverbände jetzt endlich aufgewacht und wollen den ganzen Mist nicht mehr.»
«Auch wenn das jetzt blöd klingt», begann van Appeldorn, «aber ich verstehe überhaupt nichts von Landwirtschaft. Wieso ist diese Art von Anbau Mist?»
«Das kann man in Holland sehen. In großen Teilen der Niederlande gibt es überhaupt keinen Naturboden mehr, nur noch künstlich hergestellten Mulch. Gemüse wird meist auf Nährlösungen gezogen. Die Universität Wageningen hat eine große Untersuchung durchgeführt und herausgefunden, dass holländisches Gemüse so gut wie keine Nährstoffe mehr enthält. Und sie hat auch festgestellt, dass der landwirtschaftlich genutzte Boden so überdüngt ist, dass er eigentlich auf eine Sondermülldeponie gehört. Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, werden die Holländer endlich wach, und die Agrarkonzerne kriegen bei denen kein Bein mehr auf den Boden.» Sie guckte richtig böse. «Und da klopfen die natürlich jetzt bei uns an, wir liegen ja quasi direkt vor deren Tür.»
«Wenn die Geschichte zu solch schlimmen Ergebnissen führt, wieso macht dann die Wirtschaftsförderung so dick Werbung dafür?», fragte Bernie. «Das verstehe ich nicht.»
«Ach, die!» Britta machte eine wegwerfende Handbewegung. «Die wissen doch überhaupt nicht, was da abgeht. Die hören nur die magischen Wörter ‹Arbeitsplätze› und ‹Profit›. Damit kannst du doch jeden ködern. Was da weltweit wirklich läuft, durchschauen die nicht oder wollen es nicht wissen. Ich bringe es mal auf einen ganz simplen Punkt: Warum sollen wir hier in Bedburg-Hau Tomaten anbauen für Menschen in Afrika? Die sollen ihr Gemüse selbst anbauen. Das können die nämlich.»
Van Appeldorn musste an Ackermann und das Milchpulver denken.
«Uns kommen sie immer mit dem Welthunger!» Britta hatte sich heißgeredet. «Dabei wäre alles so einfach. Man müsste nur überall auf der Welt die regionalen Produkte fördern, dann käme man in den meisten Gegenden schon ziemlich gut zurecht. Aber stattdessen macht man sich abhängig von einer Handvoll verbrecherischer Konzerne und kräht fröhlich: Globalisierung!»
Das Babyphon schaltete sich ein, und man hörte ein leises Knötern.
Schnittges schaute sich nervös um, aber Britta winkte ab. «Das dauert noch ein bisschen, meine Mutter wird ihn sicher erst wickeln. Dass die Wirtschaftsförderung auf den Zug aufspringt», fuhr sie dann fort, «kann ich ja noch irgendwie verstehen, aber dass jetzt auch die NABU und der BUND dieses Agropark-Projekt
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