Totenbraut (German Edition)
Umschlag. „Der ist für dich“, sagte er. „Soll ich ihn dir vorlesen?“
Als ich nickte, öffnete er das Schreiben. „Er ist vom Juni“, brummte er. „Kennst du eine Jelka Alazović?“
Also doch! Jetzt wurde ich sicher bleicher als der Trommlerjunge auf dem Friedhof. „Meine Schwester“, flüsterte ich atemlos.
Der Priester räusperte sich und begann vorzulesen:
„Liebe Jasna. Ich muss dir mitteilen, dass Gott unseren Vater zu sich geholt hat. Es war kurz, nachdem du fortgereist bist. Er hat nicht leiden müssen. Am Morgen sagte er, dass Magen und Herz ihm wehtun. Und am Nachmittag griff er sich an die Brust, stürzte auf dem Feld in die Knie und starb. Wir haben ihn bei Mutter und Nevena begraben. Wenigstens müssen wir uns nicht fürchten, allein im Haus zu sein, denn Lazar Kosac ist vorher schon gefangen und aufgehängt worden. Bela ist weggelaufen, nachdem du fortgeritten bist. Einer aus dem Dorf hat sie fast fünf Meilen entfernt gefunden. Weißt du noch, wie wir immer sagten, Bela sei wie eine Katze, die immer zum Haus zurückstrebt und nicht zu den Menschen? Aber in Wirklichkeit ist das Haus ihr gleichgültig, sie wollte wohl stets einfach nur zu dir zurück. Danica muss nun ständig auf sie achtgeben. Wir beten alle für dich, Jasna. Und hoffen, dass es dir gut ergangen ist.“
Mit dem Zipfel meines Kopftuchs wischte ich mir verlegen über Wangen und Augen.
Anđelko legte den Brief wieder zusammen und gab ihn mir zurück. „Mein Bedauern“, sagte er leise. „Aber dein Vater ist nun im Herrn und wartet in Frieden auf den Jüngsten Tag. Ich werde für ihn beten. War er ein guter Mann?“
Ich schluckte und würgte an immer neuen Tränen, während ich den Brief wieder verstaute.
„So gut man im Unglück sein kann“, antwortete ich ausweichend.
Entscheidungen
I
ch schämte mich, dass ich in Gegenwart des Priesters in Tränen ausgebrochen war. Doch nun, auf dem Rückweg, schämte ich mich noch mehr dafür, wie schnell die Trauertränen für meinen Vater versiegten. Das, was mich jedoch am meisten erschütterte, war die überwältigende Zärtlichkeit und Sorge, die ich für Bela empfand. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Die letzten Sonnenstrahlen hatten sich verabschiedet und die Schatten schon den grauen Glanz der Dämmerung angenommen. Immer wieder blickte ich mich auf meinem Weg zurück zur Flößerhütte um, weil ich mir einbildete, Rascheln und Schritte zu hören. Tramners Worte waren nicht weniger verwirrend als Anđelkos Verdacht, dass Milutin oder ein anderer ein Werwolf sein könnte. Am Kreuzweg hob ich ein Stück Ast vom Boden auf, das mir gut als Knüppel dienen könnte, und zog Dušans Messer hervor. Der Anblick der Eisenklinge beruhigte mich etwas. Ich eilte weiter, wobei ich versuchte, nicht allzu viel Lärm zu machen. Und ich hatte mich nicht getäuscht: Da war tatsächlich ein Rascheln im Unterholz. Sicher war es etwas Harmloses, ein Fuchs oder ein anderes Tier, aber dennoch rannte ich, so schnell ich konnte, während ich Dušan im Stillen dafür verfluchte, dass er mich beim Dorf hatte stehen lassen.
Als ich endlich die Hütten auftauchen sah, stach meine Lunge vom schnellen Lauf, und meine Beine, die so viel Bewegung nicht mehr gewöhnt waren, schmerzten. Erleichtert warf ich den Stock in die Morava. Das bereute ich allerdings sofort wieder, denn hinter der Hütte spielte sich etwas Ungewöhnliches ab: Gebrüll und ein dumpfer Schlag erklangen, Hufgetrappel und Wiehern. Simeon hat herausgefunden, wo ich bin und will mich zurückholen! , war mein erster Gedanke. Er ließ mich zögern, doch dann packte ich das Messer fester und fegte zur Rückseite der Hütten.
Im Schatten der Kate prügelte sich Dušan mit einem Kerl, den ich noch nie gesehen hatte! Er war zweimal so breit wie Dušan, sein langes Haar war mit einem Lederband zum Zopf gefasst. Dušans Axt lag auf dem Boden, der Fremde hatte sie ihm wohl aus der Hand geschlagen. Nun bekämpften sie einander mit Fäusten. Und nicht weit von ihnen zerrte Vetar an einem Strick, gegen den ein anderer Mann sich stemmte – einer mit rotem Haar. Der verrückte Staško!
„He!“, brüllte ich.
Staškos Augen wurden groß, als er mich mit blankem Messer auf sich zulaufen sah. Er stieß einen schrillen Schrei aus, ließ tatsächlich den Strick Strick sein und nahm die Beine in die Hand. Das Zaumzeug, das er in der Hand hielt, fiel zu Boden. Vetar scheute und galoppierte mit fliegendem Strick davon. Ein dumpfer
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