Totenbraut (German Edition)
du?“
„Was ist mit deinem Handgelenk passiert?“
Dušan lachte und schob den Zweig mit der Zunge in den anderen Mundwinkel. „So, so, Habichtaugen hast du also auch, was?“
„Waren das etwa ... Fesseln?“
Wenn die Frage etwas in ihm berührte, verbarg er es erstaunlich gut. „Ja“, meinte er fast gleichgültig. „Sie wurden mir vor vielen Jahren angelegt, als die Steuereintreiber nicht genug Geld von meinem Vater bekamen.“
„Und dafür haben sie dich eingesperrt?“
Dušan zuckte mit den Schultern. „Sie hatten es vor. Aber mir gelang es, unterwegs die Fesseln abzustreifen und wegzulaufen.“ Er grinste. „Ich wäre im Kerker verrottet oder irgendwo als Leibeigener auf einem fremden Hof gelandet. Sie hatten sich das falsche Pfand ausgesucht. Niemals hätte mein Vater nur wegen mir die Steuern gezahlt. Hatte ja selbst nichts, der arme Teufel – na ja, außer Pachtschulden und zehn Kindern.“
Er machte keine Anstalten, den Ärmel wieder herunterzustreifen. Beim Anblick der Narben wagte ich mir kaum vorzustellen, welche Schmerzen er beim Abstreifen gelitten hatte.
„Mach doch nicht so ein trauriges Gesicht“, sagte er und zwinkerte mir zu. „Das Leben schlägt eben jedem seine Wunden. Mir ebenso wie dir!“
Bei diesen Worten sah er mich wieder wachsam an, und erneut hatte ich das Gefühl, dass sich hinter seinem fröhlichen und spöttischen Auftreten etwas ganz anderes verbarg.
„Woher kommst du?“
Noch nie hatten wir über unsere Vergangenheit gesprochen, und ich fragte mich, ob ich zu weit ging.
„Mein Vaterhaus stand weit hinter Agram, in der Nähe von Ptuj“, antwortete Dušan. „Auf den Bauernhöfen spricht man dort Slowenisch oder Ungarisch.“
„Du bist aber kein Lateiner, oder?“
Dušan lachte. „Nein, mein Vater war ein Rechtgläubiger. Nach meiner Flucht habe ich mich den Fahrenden angeschlossen. Und dann hat es mich im Laufe der Jahre zu den Kroaten und bis nach Osijek, in die Šumadija und schließlich hierher an den Fluss verschlagen. Und wer weiß, wo ich nächsten Sommer Bäume fällen werde.“ Mit einem Wink umfasste er all das, was er sah. „Da lebt es sich schon besser auf einem solchen Gehöft, was?“
Ich drückte den Hund fester an mich. Er begann zu winseln, und ohne zu überlegen, wiegte ich ihn so, wie ich es mit Majda getan hatte, wenn sie weinte. Als ich es bemerkte, bekam ich einen Kloß im Hals.
„Danke, dass du den Hund hergebracht hast“, sagte ich leise und wandte mich rasch zum Gehen. „Wenn wir uns das nächste Mal sehen, gebe ich dir eine Flasche Branntwein für ihn.“
„Den Branntwein kannst du mir gerne geben. Aber den Hund hat Anica Dimić dir geschenkt.“
„Die Witwe?“ Ich fuhr herum. „Warum? Ich kenne sie doch gar nicht!“
„Ich sie dafür umso besser“, entgegnete Dušan mit einem hinterhältigen Lächeln.
„Ach wirklich?“, schnappte ich.
Sein Grinsen wurde noch etwas breiter. „ Lippen wie Honig und Haar wie Seide “, sang er leise. „Ihr Haus ist in der Nähe der Flößerhütten. Im Dorf lässt sie sich nicht gerne blicken, aber beim Johannisfeuer am Fluss hat sie mit mir getanzt. Und wie sie tanzen kann!“
Mit einem Mal ärgerte mich Dušans Selbstgefälligkeit und erst recht sein Lachen. „Aufschneider! Sie ist in der Witwenzeit und darf gar nicht tanzen!“
„Wetten, dass sie es dennoch tut? Du kannst mir ruhig glauben.“
Ich blickte auf den Hund in meinen Armen. Sagte Dušan vielleicht doch die Wahrheit?
„Trauert sie denn gar nicht um ihren Mann?“
„Sie macht jedenfalls nicht den Eindruck.“ Der sarkastische Unterton machte mich noch wütender.
„Warum nicht?“, fragte ich weiter. „Hat er sie so schlecht behandelt? Hat er sie geschlagen?“
Dušan schnaubte, als würde er ein Lachen unterdrücken. „Das hätte er wohl gerne. Pass auf, ich erzähle dir etwas über Anicas Ehemann: Einst, als der Herr die Tiere und den Menschen schuf, gab er dem Menschen dreißig Jahre zu leben. Dem Menschen genügte das nicht, also schenkten ihm die Tiere ihre überzähligen Jahre. Und so lebt er bis heute: Von der Geburt bis zum dreißigsten Jahr ist er so, wie Gott ihn haben wollte: stark, gesund und schön. Ein Zar unter allen Geschöpfen. Vom dreißigsten bis zum fünfzigsten Jahr ist er wie der Esel, der ihm diese Zeit gegeben hat: Er schuftet Tag für Tag für die Hausgemeinschaft und seine Herren. Vom fünfzigsten bis zum siebzigsten wird er zum Hund, der allerlei wittert und kläffend das
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