Totenfeuer
mir ja nicht alles nachmachen.«
»Was ist denn passiert?«
»Ich habe Reste einer Line in ihrem Zimmer entdeckt.«
Fernando setzt sich auf die Schreibtischkante. »Hm« ist alles, was ihm dazu einfällt.
»Sie hat seit Kurzem einen neuen Freund, er heißt Jo und ist Musiker, spielt Bass. Musiker koksen doch, was das Zeug hält, oder ist das ein Klischee?«
»Kommt drauf an. Macht er Schlager oder Volksmusik?«
»Nein, natürlich nicht. Die Band heißt Chorprobe und ist eher eine lokale Berühmtheit. Tritt mal im Faust auf oder im Chez Heinz oder im Pavillon.«
»Dann kann er sich’s gar nicht leisten. Soll ich mich trotzdem mal umhören?« Es ist zwar schon vier Jahre her, dass Fernando als Undercover für das Rauschgiftdezernat gearbeitet hat, aber er hat noch immer Verbindungen zur Szene.
Oda drückt ihren Zigarillo aus, steht auf, schaut aus dem Fenster und nickt dabei. »Ja. Danke.«
Fernando lächelt sie aufmunternd an. »Kopf hoch, Oda. Schau, sogar aus mir ist noch was halbwegs Anständiges geworden, und ich war früher wirklich ein übles Früchtchen.«
»Deine Mutter hatte das Glück, dass sie so gut wie nichts davon mitbekommen hat.«
»Stimmt«, gibt Fernando zu. »Und dann hat sie mir Völxen auf den Hals gehetzt. Ich muss sagen, irgendwie bin ich ihr heute noch dankbar dafür.«
Oda versucht ein Lächeln, was ihr nicht gelingt. In ihren Gletscheraugen glitzert es verdächtig. Fernando ist erschüttert. Oda war für ihn stets die Abgeklärtheit in Person. Er hat einen Höllenrespekt vor ihr, er bewundert ihre Klugheit und ihre Fähigkeit, Menschen zu durchschauen. Ihr scharfes Mundwerk ist in der ganzen PD gefürchtet. Doch nun kann Fernando es nicht ertragen, sie weinen zu sehen. Er kann überhaupt keine Frauen weinen sehen. Einem Impuls gehorchend nimmt er sie in den Arm. »Mach dir nicht zu viel Sorgen. Das ist bestimmt harmloser, als es scheint«, sagt er, während er ihr unbeholfen auf die Schulter klopft. In dem Moment geht die Tür auf, und beide blicken in die rot verweinten Augen einer jungen Frau.
»Dahinter steckt bestimmt die Mafia«, meint die Dame mit den sorgfältig ondulierten Haaren. Sie bittet Völxen und Jule in ihren Wintergarten: »Ich habe gerade Kaffee gemacht, um drei kommt meine Tochter mit den Enkeln. Möchten Sie auch eine Tasse?«
Völxen lehnt dankend ab, ebenso Jule. Sie hat mittlerweile aufgehört zu zählen, in wie vielen Häusern sie schon waren. Überall sind sie freundlich empfangen worden, sie haben Kaffee, Kuchen und Ostereier angeboten bekommen und Schnäpse und Likör. Die Dorfbewohner sind noch immer entsetzt über den schrecklichen Vorfall in ihrem Ort und äußern dies auch gern bereitwillig und wortreich. Völxen hört sich die Klagen und Theorien mit scheinbarer Engelsgeduld an, ehe er die Leute fragt, ob ihnen am frühen Samstagabend oder am Sonntagmorgen etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist: ortsfremde Fahrzeuge, fremde Personen, irgendetwas. Natürlich sind am Samstagabend etliche Autos den Berg hinauf- und wieder hinuntergefahren: Nachbarn, Osterbesuch der Nachbarn oder Leute aus dem Dorf, die an der Feuerstelle noch Schnittgut abgeladen haben. Völxen selbst war ja einer davon. Die Dame, die oben an der Bergstraße wohnt, meint, sie habe am frühen Morgen einen Knall gehört. »Wahrscheinlich ein Schuss. Das ist aber nichts Besonderes, die Jäger ballern hier ja öfter mal herum«, fügt sie hinzu.
»Ist nicht Schonzeit?«, wundert sich Jule.
»Nicht für Füchse und streunende Katzen«, erwidert Völxen und fragt die Rentnerin, ob der Schuss in der Nähe des Osterfeuers gefallen sein könnte.
»Nein, das war bestimmt weiter weg.«
»Und die Uhrzeit?«
»Das weiß ich nicht. Ich war noch im Bett.«
»War es schon hell?«
»Kann ich nicht sagen, ich hatte die Rollos unten.«
Keiner der Befragten hat eine Idee, um wen es sich bei der Leiche handeln könnte. Man ist sich lediglich darüber einig, dass das Böse von außen kommen muss, entweder aus den Nachbarorten oder aus der Stadt: Mafia, Satanisten, Islamisten, organisiertes Verbrechen. Ein wenig ergiebiger sind die Hundebesitzer. Etliche von ihnen sind mit ihren Tieren zu den fraglichen Zeiten auf dem Vörier Berg spazieren gegangen, allein fünf von ihnen in den frühen Abendstunden des Samstags.
Jochen Raufeisen, ein älterer Herr, der mitten im Dorf wohnt und Besitzer eines schwarzen Monstrums ist, berichtet, er habe die bewusste Stelle am Sonntagmorgen zwischen halb sechs und
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