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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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sich einfach auf ihn gelegt. Sie wollte seine Haut spüren, ihm nah sein. Noch näher. Blum wollte ihn ausziehen, in ihm verschwinden, in ihn eintauchen, sich fallen lassen. Sie hätte es getan. Mit gutem Gewissen hätte sie es geschehen lassen, sie hätte alles genommen, alles gegeben. Weil sie glaubte, dass sie angekommen war. Dass es Zeit war, ihm etwas zurückzugeben. Etwas wie Liebe, ein Gefühl der Dankbarkeit. Und Neugier. Blum wollte wissen, wie er riecht, sie wollte wissen, wie seine Zunge schmeckt, wie sie sich bewegt in ihrem Mund. Was seine Hände machen auf ihr, wie er eindringt in sie. Sie wollte ihn spüren, alles von ihm. Mit geschlossenen Augen weitertanzen. So, als gäbe es kein Morgen mehr. Nur er und sie. Nur dieser Moment. Vor zehn Stunden seine Augen, die Nein sagten.
    Benjamin Ludwig fährt durch die Stadt. Reza dirigiert ihn, sie müssen noch einen Halt machen, etwas besorgen, bevor sie zum See fahren. Kartons, Plastikfolie und Klebeband. Verborgen zwischen unzähligen Autos bleiben sie auf dem Parkplatz eines Baumarkts stehen, Reza drückt Blum die Waffe in die Hand und geht einkaufen. Ohne Worte lässt er Blum mit Ludwig allein. Der Schauspieler und die Bestatterin. Zehn Minuten nur sie beide. Zehn Minuten lang Schweigen. Er dreht sich nicht um, er hat Angst, er spürt die Pistole in seinem Rücken. Blum drückt sie fest in seinen Rücken. Sie möchte einfach abdrücken, ihn auslöschen, den Saubermann in die Hölle schicken, der Welt sagen, dass er ein Schwein ist. Was er getan hat. Ihn töten. Jetzt. Auf einem Parkplatz, irgendwo in einem Münchner Industriegebiet. Sie möchte ihm wehtun, ihm sagen, dass sie diesen Mann geliebt hat. Den Mann, den er totgefahren hat. Dass er alles für sie gewesen ist. Mark. Der Vater ihrer Kinder. Wie er im Garten mit ihnen herumtollte. Eine Familie, die es nicht mehr gibt. Nur noch Blum und Ludwig. Nur noch sie beide in diesem Auto. Eine Sekunde, und er ist tot. Ein Schuss nur, und alles ist zu Ende. Jetzt schon. Noch bevor Reza zurückkommt und alles in den Kofferraum lädt. Noch bevor er einsteigt und Ludwig sagt, dass er weiterfahren soll.
    So als wäre es das Normalste auf der Welt, lassen sie sich von Benjamin Ludwig chauffieren. Der Fernsehstar fährt, er bringt sie nach Starnberg. Langsam, am See entlang. Der Sommer ist fast vorbei, viele der Häuser stehen leer. Die Villen der Reichen, Bootshäuser, Feriendomizile. Reza dirigiert ihn weiter, sie suchen nach dem idealen Haus, nach einer Einfahrt, in der sie verschwinden können. Selbstverständlich, am helllichten Tag, von niemandem wahrgenommen. Einfach nur ein teures Auto, das vor einem teuren Haus parkt. Alltag am See. Niemand achtet darauf. Dass drei Menschen aussteigen und durch einen großen Garten hinunter zum Bootshaus gehen. Nur ein Zaun, über den sie steigen müssen, nur ein Rucksack, Tüten und Kartons, die sie mit sich tragen. Reza, Blum und Ludwig. Wie er vor ihnen hergeht. Wie er sich immer wieder umdreht. Wie er nach einem Ausweg sucht. Weil er weiß, dass es zu Ende ist. Alles.
    Reza ist eingeschlafen irgendwann. Seine Finger sind irgendwann einfach liegen geblieben auf Blum. Erschöpft, betrunken, müde. Sie hat sich nicht bewegt, sie wollte bleiben, nicht weggehen von ihm, keinen Zentimeter. Er tat gut, schlafend, wach. Dass er sie zurückgewiesen hat, war schön. Dass er sie nicht einfach genommen hat, ihr Angebot angenommen hat, ihren Körper, ihren Mund, die Brüste. Sie hätte es getan, sie wollte es. Sie war aus dem Bad gekommen und bereit dazu gewesen. Reza hat nur ihre Hand genommen und sie angesehen. Wie sehr sie ihm gefiel, konnte Blum sehen. Er wollte sie, doch er hielt sich zurück.
    Gestern. Jetzt nicht mehr. Keine Zurückhaltung, keine falsche Scham. Er funktioniert einfach. Wie eine Maschine, Blums treuer Soldat. Er bereitet alles vor, er bricht das Schloss auf und öffnet die Tür. Keine Alarmanlage, nur ein wunderschönes, altes Bootshaus, seit Wochen ist hier niemand gewesen, der perfekte Ort, um mit Ludwig zu reden. Niemand wird ihn hören, auch das Nachbarhaus ist verwaist, auf der anderen Seite des Bootshauses ist nur Wald. Es ist egal, wie laut er schreit. Egal wie lange. Reza legt den Boden mit Planen aus. So, als würde er einen Tisch decken. Er holt das Werkzeug aus seinem Rucksack, er legt das Klebeband und die Frischhaltefolie bereit. Alles passiert innerhalb weniger Augenblicke, Ludwig hat keine Zeit, sich zu überlegen, was sie mit ihm vorhaben. Er

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