Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sandford
Vom Netzwerk:
bei der Vorwahl und neunundfünfzig Prozent bei der Endabstimmung.
    Goodmans Anhänger nannten ihn charmant, bodenständig, intelligent. Leute, die ihn nicht mochten, sagten, er wäre ein Volksverhetzer und Demagoge, ein autoritärer politischer Führer, ein kleiner Hitler – der letztere Vorwurf zielte auf die Watchmen ab.
    Auf den Hitler-Vergleich angesprochen, erklärte der Gouverneur: »Genau diese Leute, auf beiden Seiten, haben diesen
Staat fünfzig Jahre lang in einem politischen Morast versinken lassen. Nun geht es wieder aufwärts. Wir kommen voran. Also schaffen wir eine Freiwilligentruppe, die mithelfen soll, mögliche Ziele von Terroristen im Auge zu behalten, die älteren Menschen helfen soll, ihre Mahlzeiten zu bekommen, die bei der Mobilmachung im Fall einer Naturkatastrophe helfen sollen, und diese Leute beschimpfen sie als Nazis . Ist das nicht mal wieder typisch? Ist das nicht genau das, was man von denen erwartet? Ich habe für solche Leute nur zwei Worte übrig: ›Leckt mich.‹«
    Er hatte tatsächlich »Leckt mich« gesagt und die Leute von der Presse schockiert, aber sonst niemanden. Stattdessen war seine Popularität bei Meinungsumfragen um ein halbes Dutzend Punkte gestiegen.
    Vor zwei Jahren, als Goodman gerade ein Jahr Gouverneur war, kandidierte Lincoln Bowe für eine zweite Amtszeit im Senat. Man hielt ihn in weiten Kreisen für den sicheren Sieger.
    Mit Ermutigung des Weißen Hauses hatte Goodman einen schwachen demokratischen Kandidaten namens Don Murray unterstützt und als lokale Kraft hinter der Murray-Kampagne gestanden. Der Präsident selbst war ein halbes Dutzend Mal als Spendenbeschaffer tätig geworden. Der Wahlkampf glitt ins Schmutzige ab. Murray schlug Bowe um viertausend Stimmen, während ein unabhängiger Kandidat weit abgeschlagen auf der Strecke blieb. Goodman und die Watchmen wurden für Murrays Sieg entweder bewundert oder kritisiert, je nachdem, welcher Partei man angehörte.
    Die Erbitterung, mit der der Wahlkampf geführt worden war, hatte nie aufgehört.
    Jake brauchte zweieinviertel Stunden bis Richmond, die frustrierenden sechs Minuten eingerechnet, die er hinter einem Geländewagen mit Bootsanhänger herzockelte, der mit fünfzig Meilen pro Stunde exakt auf dem Mittelstreifen fuhr, sowie
einen Unfall, bei dem ein blauer Chevy einem anderen blauen Chevy hinten draufgeknallt war. Ein Highway-Polizist redete mit den Chevy-Fahrern, beides Frauen im Hosenanzug, ohne auf den Verkehrsstau zu achten, den sie verursachten.
    Als er endlich in Richmond ankam, war er stinksauer, und Richmond war nicht gerade eine Stadt, in der man sich leicht zurechtfand, mit ihrem endlosen Gewirr alter Straßen, die von Schnellstraßen gekreuzt wurden. Goodmans Büro befand sich im Patrick Henry Building im südöstlichen Teil des Capitol-Komplexes.
    Jake fand das Gebäude und entdeckte nach zehnminütigem Suchen vier Blocks entfernt einen freien Parkplatz. Er stellte das Auto ab und fütterte die Parkuhr. Dann nahm er seinen Stock und den Aktenkoffer vom Rücksitz, ging zur Broad Street hinüber, überquerte sie, passierte das alte Rathaus und bog nach links auf einen gepflasterten Gehweg.
    Der Gehweg wurde vom Capitol-Gelände durch einen grün gestrichenen schmiedeeisernen Zaun getrennt, dessen Pfosten mit Rutenbündeln verziert waren, was Jake zum Schmunzeln brachte. Als er sich dem Patrick Henry Building näherte, sah er zwei Watchmen vor der Tür auf einer Bank sitzen und sich sonnen. Sie trugen die übliche Watchman-Uniform aus Khakihose, blauem Oxford-Hemd und Bomberjacke.
    Als Jake mit seinem Stock näher kam, standen beide auf, zwei große, schlanke, freundliche Männer, von denen einer fragte: »Haben Sie einen Termin, Sir?«
    »Ja, beim Gouverneur.«
    »Und Ihr Name?«
    »Jake Winter.«
    Einer der Männer sah auf einem Klemmbrett nach, dann nickte er lächelnd. »Gehen Sie geradeaus durch.«
    Als Jake an ihnen vorbeigehen wollte, fragte der andere Mann: »Waren Sie beim Militär?«

    Jake blieb stehen. »Ja, bei der Army.«
    »Irak? Syrien?«
    »Afghanistan«, antwortete Jake.
    »Ah, einer von den Schlangenfressern«, sagte der Mann. »Haben Sie schon mal daran gedacht, zu den Watchmen zu gehen?«
    »Ich wohne nicht in Virginia«, erklärte Jake.
    »Okay«, sagte der Mann. »Wir kommen aber auch bald in Ihre Gegend. Dann können Sie ja noch mal drüber nachdenken.«
    »Waren Sie auch bei der Army?«, fragte Jake.
    »Er war ein scheiß Navy-Matrose«, sagte der andere Mann.

Weitere Kostenlose Bücher