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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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Kronenkorken an der Tischkante ab und setzt an. Als er absetzt, ist die Flasche leer und nicht der winzigste Rülps entsteigt dem Durstigen. Brandt ist in der Zeit neben mir aufgetaucht, spricht den Kerl an, stellt mich vor und sagt zu ihm, dass er mir um 8 Uhr aufschließen solle. Aha, der gehört hierher. Der Totengräber. Er sagt nur ›Ja‹ und verschwindet, dabei tritt er in seine zuvor gelegte Matschspur und erzeugt ein neues Muster.
    »Das macht er selbst wieder sauber«, sagt Brandt, dem mein Entsetzen nicht entgangen ist und fügt an, dass ich mich nicht darum kümmern soll. Während er seine Radschuhe überstreift, erzählt er, dass der Kerl ›Hanf‹ gerufen würde. Wenn ich ihn fragte warum, würde er mir nicht antworten, daher solle ich ihn am besten gar nicht drauf ansprechen. Mit klackernden Geräuschen eiert Brandt zur Musik-Anlage und angelt seine CD aus dem Fach. Man erzähle sich, dass Hanf deshalb so genannt werde, weil er schon als Kind einen Hang zu dieser Pflanze gehabt habe. Er soll der jüngste Hanfbauer Europas gewesen sein. In einem Westerwalddorf habe die Polizei dem damals strafunmündigen Kind die Gewächshäuser zerstört, ihn einer Pflegestelle zugewiesen, woraufhin Hanf abgehauen sein soll, nach Spanien oder so, heiße es. Na, oder sei es Frankreich gewesen, eventuell sogar die Fremdenlegion, oder verwechsle er da jetzt was. Wie auch immer, führt der Bestatter aus, seit einigen Jahren sei Hanf hier beschäftigt und es gäbe keine Klagen.
    »Hanfs Kundschaft ist eine schweigsame«, witzelt Helfried Brandt, diesmal ohne Seehund.
    »Wir können dann gehen«, sagt er und verschließt seinen Fahrradhelm mit Flammenmotiv. Hoffentlich geht er nicht hinten raus. Doch. Er geht durch die Tür, vor der der Leichenwagen geparkt ist.
    »Ich bevorzuge ein Sie und den Nachnamen ohne Anrede. Wie gefällt Ihnen das, ›Sie Himmel‹?« Jetzt stehen wir bei James Marilyn.
    »Das ist doch nicht etwa Ihrer?«, fragt er ein wenig pikiert und amüsiert zugleich.
    »Nein, nein«, beeile ich mich zu sagen, »ich fahre ihn für einen Freund Probe, ›Sie Brandt‹.«
    »Nicht schlecht, nicht schlecht. Wir sehen uns morgen frisch und munter!« Klack, klack, geübt schnell ist er in den Pedalen seines 2000 € - Mountainbikes, schaltet ebenso zügig in einen höheren Gang und zischt auf großem Ritzel bergab davon. Unter den kritischen Blicken von Hanf verlasse ich das Friedhofsgelände mit einem Gruß ans Getriebe. Der Rückwärtsgang hakt. James Marilyn mag es lieber vorwärts.

15
    Auf der Rückfahrt zur Kalteiche kommt mir alles unecht vor, surreal. Wie von fremder Hand bestimmt, fügt sich eins ins andere. Ich muss an die russischen Puppen denken. Packe ich im Moment so eine Matroschka aus oder bin ich ein Teil von ihr und werde gepackt? Ungewohnte Umgebung, neue Leute, ganz normal, mischt sich der Anwalt ein, der mit mir das morgige Protokoll durchgehen will. Ich fühle mich zu wuschig, als dass ich mich jetzt darauf konzentrieren könnte.
     
    Rudi und Susanne freuen sich für mich, dass ich den Job bekommen habe und Rudi meint, dass es James zu verdanken sei. Ich lasse ihn in dem Glauben und ziehe mich in die kleine Schlafkammer zurück. Auf dem Weg dorthin greife ich mir eines dieser kostenlosen Anzeigenblätter, die ich normalerweise nie lese. Doch heute ist eh kein normaler Tag. In Unterhose und T-Shirt auf dem Bett sitzend, löse ich das Kreuzworträtsel. Dumm nur, dass ich keine adäquate Schreibunterlage habe und ständig mit dem Kugelschreiber Löcher ins dünne Papier pieke. Beim Umblättern erregt eine Ausstellung aus dem benachbarten Kreis Altenkirchen meine Aufmerksamkeit. In einem dem Zerfall preisgegebenen Kaufhaus stellt der Geschichtsverein zusammen mit dem Club historischer Mobile Fotos aus vergangenen Tagen aus. Schützenumzüge seien dabei, Flutbilder, eine verbrannte Kirche, Zirkus-Auftritte und andere kulturelle Ereignisse. Der Artikel ist umrahmt von einigen Fotoausschnitten. Ein Bild fesselt mich. Kopfüber hängt eine Frau am Trapez. Ich muss an den Alten denken, der sich unter anderem als Artist und Clown vorgestellt hat. Das Gesicht der Frau habe ich schon mal gesehen. Ich drehe die Zeitung herum. Etwas an ihr kommt mir bekannt vor. Leider ist ihr Antlitz durchrätselt, denn es befindet sich genau hinter der Stelle, wo nach einer Gattung der Froschlurche, der Abkürzung der Europäischen Union und der Schiffseroberung gefragt wurde. Teile der Unke verunzieren spiegelverkehrt

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