Totenklang
erinnert, rafft mir die Stricknadel aus den Händen und legt sie wieder in den Schrank, knufft mit seinem spitzen Knie die Tür zu und schließt ab. Den Schlüssel dazu trägt er um seinen dürren Hals, der von einem ausgeprägten Adamsapfel dominiert wird. Da würde ich jetzt gerne mal draufdrücken und gucken, was passiert, meldet sich der kindliche Kalle in mir, notiert anschließend auf seinem imaginären Notizblock, dass das altertümliche Holzschränkchen mit einem Sicherheitsschloss ausgestattet ist.
Dass ich Müllbeutel gesucht habe, quittiert mein neuer Chef mit einem gezwungenen Lächeln und einem knappen Fingerzeig zu dem offenen Regal hinter der Tür.
Jetzt erst scheint er von meinem Gesicht abzulesen, wie seine hitzige Aktion auf einen noch ziemlich unbekannten und unbescholtenen Menschen wie mich gewirkt haben muss.
»Sie müssen entschuldigen. Man glaubt es kaum, aber auch hier wird gestohlen. Den Raben ist nichts heilig. Grablichter sind da noch Kleinigkeiten. Dass sie hier nicht ganze Steine ausbuddeln, ist nur der Tatsache zu verdanken, dass sie beschriftet sind. Aber auch das wird nur eine Frage der Zeit sein. Irgendwann werden sie selbst die Steine stehlen, abfräsen, behauen und neu gravieren.« Er verfällt in einen Plauderton und drängt mich gleichzeitig aus dem Raum hinaus in die Einsegnungshalle.
»Was meinen Sie wohl, warum die Gießkannen angekettet sind? Gestecke, Kränze, sogar frisch gepflanzte Bäumchen werden vom Grab weg entwendet, um andernorts einem Verblichenen Schatten zu spenden. – Na, wie gefällt es Ihnen?«, fragt er übergangslos und präsentiert mir seine Arbeit.
Ich bin ja kein schöngeistiger Blumenmensch. Blumen mag ich am liebsten auf der Wiese und dann kann ich sie kaum vom sogenannten Unkraut unterscheiden, doch was der Mann hier gezaubert hat, wäre fotoreif. Er hat das Konditorenthema durchgezogen. Wenn der Sarg platziert ist, wird er wirken wie das Herzdekorstück auf einer dreistöckigen Torte.
»Konsequent umgesetzt, kann ich da nur sagen. Respekt. Die Familie des Verstorbenen wird Ihnen das sicherlich danken.«
»Jaha, solange bis die Rechnung kommt«, jetzt lacht er wieder sein Seehundlachen.
»Bleibt das denn bis morgen frisch?«, möchte ich wissen.
»Ja, und Sie sind es, der dafür sorgen wird.« Als nächstes erklärt er mir, dass die Kapelle ein gutes Blumenklima habe, die meisten Gestecke in Vasen stehen oder in schwammähnlichem Schaumstoff. Dann erfahre ich, dass er dafür sorgen wird, dass hier morgen früh um acht geöffnet werde, damit ich die Pracht sacht mit Wasser besprengen könne. Gegen 10:30 Uhr sei dann die Messe. Er bittet mich um Anwesenheit, dabei könne ich Frau Engel kennen lernen. Irgendwas war doch morgen früh. Der Mümmel hat mich zum Protokoll geladen, fällt mir siedendheiß ein. Ich gestehe Brandt, dass ich um 10:30 nicht könne, 8 Uhr sei kein Problem und ab elf sicher auch nicht. Der Mann wirkt kurz enttäuscht, erinnert sich schnell daran, dass er mich erst vor einer Stunde eingestellt hat und ihm wird bewusst, dass ich, statt hier mit ihm auf seine Kosten lediglich herumzustehen, sauber machen könnte.
»Also um elf«, sagt er fast ein bisschen tonlos, wobei er andeutungsweise nickt.
Während ich fege, äußert Kalle, dass Helfried Brandt einen deutlichen Schaden habe, seiner Meinung nach. Der Advokat attestiert ihm eine möglicherweise verzwickte Persönlichkeitsstruktur, angelegt in der frühen Kindheit, womöglich in der Sauberkeitsphase, vielleicht sei Klein Helfried von Mama Brandt zu früh auf den Topf gezwungen worden, was sich heute in Kontrollzwängen zeige, und ich denke, dass jeder nach seiner Fasson selig werden muss und dass der Beruf des Bestatters andere Spuren im Menschen hinterlässt als der des Geburtshelfers. Genug gefegt. Jetzt noch ein bisschen wischen. Nach einer Stunde ist alles erledigt. Mein internes Rechnungswesen verbucht vierzehn Euro auf der Habenseite.
Kaum, dass das Putzwasser in der Toilette verschwunden ist, stapft ein Mann mit matschigen Gummistiefeln durch den Gang Richtung Küchenzeile. Kurz fühle ich meiner Mutter Wut in mir aufsteigen. Der versaut den ganzen Boden! Gleichzeitig ärgere ich mich darüber, dass mich das ärgert und ich an meine Mutter denken muss.
Ich folge dem Mann, der dunkelgrüne Arbeitssachen und eine ehemals beige Batschkappe trägt. Der grob wirkende Waldschrat schlappt zum Kühlschrank und entnimmt eine Flasche Bier. Er schlägt den
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