Totenklang
Willst-n-paar-aufs-Maul-Mario an diesem Montagmorgen im Bezirksdienst Burbach aufzusuchen habe und mein Tank so leer ist wie mein Konto.
Die fröhliche Stimme Susannes, vor allen Dingen der Inhalt ihres Rufs:
»Frühstück ist fertig!«, zieht quasi die Wurzel aus der grässlich hohen Zahl auf dem Missstimmungsbarometer. Jetzt bin ich wieder genauso knatschig wie gleich nach dem Erwachen. So zeigt man sich aber nicht einer Powerfrau. Ich schneide Grimassen vor dem alten Spiegel, ein Schwung kalten Wassers soll die Falten glätten. Nun, ja, geht so, hast schon besser ausgesehen, aber auch schon schlechter, viel schlechter. Ob ich die Haare heute offen tragen sollte? Der Advokat runzelt die Stirn und grunzt, dass ich umso weibischer werde, je länger ich fraulos bin. Also Zopf. Der lügt, der Advokat. Auf wessen Seite steht er eigentlich?
Die Aussicht darauf, nach meiner Zeugenaussage bei Mümmel Frau Engel wiederzusehen, hebt die Laune, der Duft des frischen Kaffees auch. Ich entscheide mich für ein fast neues Hemd, was ich eigentlich nicht mag, aber in der Eile aus dem Bauwagen gegriffen habe, und eine saubere Jeans. Als ich meinen Gürtel durch die Schlaufen fummle, erregt ein zerknittertes Stück Papier in einer der Taschen meine Aufmerksamkeit. Bei näherer Betrachtung entpuppt es sich als gut durchgewaschener Zwanziger. Früher hätte ich mich noch gefragt, wie der da hingekommen ist und wie ich so schusselig sein konnte, ihn versehentlich dort zu vergessen. Heute freue ich mich einfach nur noch. Eigentlich geht’s mir prima! Das Geld werde ich gleich teilweise verflüssigen, sieben Liter, na, vielleicht auch acht.
23
Als ich pünktlich das kleine Polizeibüro betrete, höre ich Fassungslosigkeit aus der Stimme des Mario Nümer, der seine Augen ungläubig auf ein Papier geheftet hat und sich nicht von dessen Inhalt lösen kann. Er schaut nicht mal auf, als ich eintrete.
»Wer macht denn so was? Abscheulich. Wenn ich den erwische. Kranke Sau. Elle, Speiche, Schlüsselbein«, Marios Blick verstellt sich, seine Arme werden mal kurz, mal lang, er versucht teleskopartig etwas scharf zu stellen und zu entziffern.
»Was’n das?« Die Frage richtet er an Kai-Uwe, der ein mächtig dickes medizinisches Lexikon auf den zweigdürren Armen trägt. Wären die beiden jetzt in Mönchskutten gewandet und Mümmel hieße Moore, könnte die Szenerie in der alten Bibliothek des Klosters von Ecos ›Im Namen der Rose‹ spielen. Merkwürdig dunkel ist es hier, nur eine Schreibtischlampe aus den frühen Siebzigern erhellt den Tisch des Polizisten, auf den jetzt das schwere Buch fällt.
»Pass doch auf!«, wird Kai-Uwe angeblökt. Im fast gleichen Moment wird man sich meiner Anwesenheit bewusst. Mümmel guckt mich an, als wäre ich soeben einem transsilvanischen Sarg entstiegen. In seinem irgendwie dämlichen Gesichtsausdruck spiegelt sich dazu die Faszination des Grauens wider. Widerwillig legt er das Papier beiseite und fordert Kai-Uwe auf, die Neonröhren anzuschalten.
»Ich mach dann mal meine erste Runde«, verabschiedet dieser sich nach Ausführung der helllichten Tat. Die Tür fällt mit Krach ins Schloss, eine Scheibe vibriert und im Nu scheint Mario wieder der Alte. Wichtig wuchtet er seinen Korpus hinter den Schreibtisch, gebieterisch weist er mich an, davor auf dem erniedrigten alten Stuhl Platz zu nehmen, womit ich solange warte, bis er sich hingesetzt hat. Umständlich startet er den Computer (zupft die Plastikhaube vom Monitor, faltet sie ordentlich, legt sie beiseite, lupft die Tastaturabdeckung herunter, legt sie auf die Haube, fummelt unterm Tisch am Tower herum, mit Knattern und Rattern scheint der Computer die Festplatte gefunden und eine Software gestartet zu haben), um sich dann doch der Schreibmaschine zuzuwenden, mit allerlei ausholenden Bewegungen einen Bogen Papier einzuspannen und zu sagen:
»Name, geboren, Wohnort …« Hierbei lächelt er süffisant, während ich alle notwendigen formalen Angaben mache.
»Was genau ist denn im Wald am Weiher passiert?«, will ich wissen.
Polizist Nümer klärt mich in Beamtisch über den Sachverhalt auf. Männliche Leiche, er zeigt mir das Foto eines sehr tot aussehenden alten Mannes, gefunden unter unnatürlichen Umständen, an einem Seil, ein Ende um einen Ast im Baum, eines um dessen Hals. Recherchen, seine Recherchen, hätten ergeben, dass es sich bei dem Toten um einen Reginald Müller handele, es seien keine weiteren Gegenstände im Umfeld gefunden
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