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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Einfühlung zu entscheiden, welches von beiden das Wahrscheinlichere war. Jorge Chavez verstand plötzlich, wie Paul Hjelm sich vor Urzeiten gefühlt haben musste, als ihm ein junger, überambitionierter Kollege namens Jorge Chavez zugeteilt wurde.
    Hoffnungslos veraltet.
    Zwei Szenarios, versuchte er wieder an seinen Gedankengang anzuknüpfen, abgelenkt durch Andersons intensives Blättern in dem Stapel von Hinweisen.
    Haben meine Energie und meine Effizienz wirklich so ausgesehen?, dachte er. Waren sie so durchstrukturiert? War es nicht eine freiere Form von Kreativität?
    Freiheit und Kreativität waren andererseits hinreichend vage Begriffe, um regelmäßig von einer älteren Generation in der Konfrontation mit einer jüngeren, effizienteren und energischeren angeführt zu werden.
    Und von dem verfluchten Blättern wurde man doch nicht effizienter. Konnte ein Mensch überhaupt so schnell lesen?
    Zwei Szenarios, dachte Chavez, und dann dachte er an Hallenfußball. Gegen Mittsommer vergangenen Jahres hatte er die Bassgitarre an den Nagel gehängt, um mit einer Clique ehemaliger Kumpel in RÃ¥gsved Hallenfußball zu spielen. Sie waren alle um die vierzig, spielten in einer Studentenliga in der Frescatihalle und trafen regelmäßig auf Elitesportler um die zwanzig. Und in der Regel gewannen sie. Indem sie in der Mitte des Wirbelsturms still standen und dachten. Fußball dachten. Einen Schritt voraus sein, ohne dass es sichtbar wurde.
    Also: zwei Szenarios. Dem ersten zufolge war es die eigentliche Aufgabe der Räuber, irgendetwas in der Bank durchzuführen. Nach Ausführung des Auftrags warteten sie nur auf ihre Befreiung, die in Gestalt eines falschen Polizisten kommen würde, wenn die Polizei sich entschloss, die Bank zu stürmen. Daher ihre passive Haltung. Und deshalb auch die ironische Bemerkung, dass die Polizei den Plan liefern solle. Falls dies zutraf, waren sie wahrscheinlich über alle Berge, schon aus dem Land geschmuggelt und im wohlverdienten Urlaub am Schwarzen Meer. Das Einzige, woran die Polizei sich halten konnte, war die leichte ›Manipulation an der Kabellage‹, die seine Ehefrau mit der etwas nervigen Kollegin Lena Lindberg untersuchte. Es ging darum, eine Form von Lücke im Sicherheitssystem aufzutun. Und dann musste in der Andelsbank eine erhebliche Menge Geld fehlen.
    Doch hatte die Bank bisher keine diesbezügliche Meldung gemacht.
    Er musste mit Sara reden.
    Als wäre Sara das alles nicht längst klar.
    Nicht einmal da hatte er noch eine richtige Funktion.
    Szenario zwei. Die Bankräuber werden keineswegs befreit, sondern aus einem ganz anderen Grund dem Zugriff der Polizei entzogen. Entweder als Bestrafung, weil sie ins Revier einer anderen Organisation eingedrungen sind – beispielsweise zwei Fraktionen der russischen Mafia – oder weil sie über irgendeine Art von Information verfügen. Im ersten Fall sind sie tot und sorgfältig ausgewählte Körperteile bereits per Post unterwegs zum passenden Adressaten. Im zweiten Fall dürften sie inzwischen gründlich gefoltert worden sein. Aber über was für eine Information könnten sie verfügen? Das einzig Vorstellbare, auch in diesem zweiten Szenario, war die verdammte ›Manipulation an der Kabellage‹. Und für den Fall könnte es sich um die Andelsbank selbst handeln. Ja, verdammt, da saßen der Direktor HaavardNaess und der Sicherheitsbeauftragte Geir im Parkett und wurden mit allen erdenklichen polizeilichen Informationen gefüttert. Im Laufe des Tages bekommen sie die Information, dass sich eine Lücke im Sicherheitssystem aufgetan hat und dass eine Wahnsinnsmenge Geld auf elektronischem Weg verschwunden ist. Sie ergreifen selbst die Chance, die Räuber zu schnappen, ihnen Informationen über die Sicherheitslücke abzuluchsen und das Geld zurückzubekommen, ohne dass die Sache an die Öffentlichkeit dringt. Sie sitzen mitten unter uns und lenken den Ablauf des Geschehens mit eiserner Hand. Geir geht zwischendurch nach draußen und erteilt via Mobiltelefon unbegreifliche Anweisungen an seine Neunorwegisch sprechenden Sicherheitskräfte.
    Aber nein, nicht einmal eine reiche norwegische Internetbank konnte Sicherheitskräfte haben, die in der Lage waren, binnen weniger Stunden chamäleonartig Form und Gestalt der nationalen Einsatztruppe der schwedischen Polizei anzunehmen.
    Nein, wurden nicht

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