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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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herumhüpft, hat im rötlichen Schein des Feuerwerks plötzlich etwas Dämonisches an sich.
    «Sieben, sechs, fünf   …»
    Sammy drückt David ein Glas Marmite in die Hand, das er mit hilflosem Blick betrachtet. Als er sich zu Ruth umdreht,wird auch er vom bunten Flackern angestrahlt. Rot, Gold und Grün.
    «Vier, drei, zwei, eins   …»
    «Frohes neues Jahr», sagt David.
    «Frohes neues Jahr», erwidert Ruth.
    Und zu den düsteren Schlägen von Big Ben stirbt das alte Jahr.
     
    Nelson hat sich nach draußen verzogen, um eine Zigarette zu rauchen und seinen Töchtern eine SMS zu schicken. Tony und Juan sind sich zu gut für Big Ben und drittklassige Prominenz und haben mit Hilfe von Juans Rolex ihren eigenen Countdown organisiert. Dummerweise geht die Rolex fünf Minuten nach, sodass sie den Jahreswechsel streng genommen bereits verpasst haben. Laura, Nelsons achtzehnjährige Tochter, ist mit ihrem Freund unterwegs, die sechzehnjährige Rebecca ist auf irgendeiner Party. Gereizt denkt er an die jungen Kerle, wie er selbst einmal einer war, die die Neujahrsglocken als Vorwand für wilde Knutschereien nutzen. Oder für noch Schlimmeres. Eine SMS von Papa ist da genau das Richtige, um die Mädchen wieder zur Besinnung zu bringen.
    «Frohes neues Jahr, Schatz!», schreibt er, zweimal, ganz der gerechte Vater. Dann sieht er in seinem Nummernverzeichnis den Namen, der gleich nach Rebecca kommt. Ruth Galloway.
    Was Ruth wohl heute Abend macht? Er stellt sie sich bei einem Abendessen mit ein paar anderen Dozenten vor, alle sehr geistreich und intellektuell. Wortspielereien beim Brandy, so was in der Preislage. Ob sie einen Freund hat? Sie würde vermutlich «Lebenspartner» sagen. Erwähnt hat sie niemanden, doch er hält Ruth für die Sorte Mensch, die ihr Privatleben nicht überall ausbreitet. Genau wie er. Vielleicht ist sie ja auch mit einer Frau zusammen? Nein,sie entspricht nicht seiner Vorstellung von einer Lesbe (die sich irgendwo zwischen einer kahlgeschorenen Latzhosenträgerin und der rotlippigen Pornofilmvariante bewegt). Sie zieht sich nicht an, um Männern zu gefallen, aber er glaubt auch nicht, dass sie Frauen gefallen will. Im Grunde wirkt sie   … Nelson sucht nach dem richtigen Wort   … völlig unabhängig, als würde sie keine anderen Menschen brauchen. Vielleicht verbringt sie den Abend ja auch allein.
    Zum tausendsten Mal fragt er sich, ob er diesen Fall wohl jemals aufklären wird. Zu Anfang des Abends hat er zwei Frauen belauscht, die sich über Scarlet Henderson unterhielten. «Man hat sie immer noch nicht gefunden   … wie furchtbar für die Eltern   … aber die Polizei unternimmt ja auch gar nichts.» Und Nelson musste das rasende Bedürfnis unterdrücken, hinzustürzen, die zwei Weiber am Schlafittchen zu packen und ihnen in ihre gelifteten Gesichter zu brüllen: «Ich arbeite vierundzwanzig Stunden am Tag daran, diesen Fall zu lösen. Ich habe allen meinen Leuten den Urlaub gestrichen. Ich folge jedem einzelnen Hinweis. Ich habe mir das Gesicht der Kleinen so lange angeschaut, dass es mir schon in die Netzhaut gebrannt ist. Ich träume jede Nacht von ihr. Meine Frau wirft mir vor, ich wäre besessen. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, ist sie mein erster Gedanke. Ich habe seit der Schulzeit nicht mehr gebetet, aber für sie bete ich. Bitte, lieber Gott, lass sie mich finden. Bitte, lieber Gott, lass sie noch am Leben sein. Also erzählt mir gefälligst nicht, ich würde nichts tun, ihr ausgemergelten Schnepfen.» Stattdessen ist er einfach weggegangen, so zornig dreinblickend allerdings, dass Michelle ihm vorwarf, er würde allen den Abend verderben. «Das ist einfach egoistisch von dir, Harry, begreifst du das nicht?»
    Nelson seufzt. Drinnen hört er Champagnerkorken knallen, dazu die gellende Stimme einer nicht mehr ganzjungen Sopranistin, die einigermaßen wacklig «Auld Lang Syne» trällert. Er betrachtet sein Handy mit den grünleuchtenden Tasten. Ohne lange nachzudenken, tippt er rasch eine SMS – «Frohes neues Jahr, HN» – und drückt auf «Senden». Dann geht er langsam zurück zu den anderen Partygästen.

 
    Sie schaut zu, wie sich das Viereck aus Licht in der Decke erst grün, dann golden und dann rot verfärbt. Dazu knallt es, und sie hört merkwürdige, zischende Geräusche. Erst macht ihr das Angst, aber dann fällt ihr ein, dass sie solche Geräusche vielleicht schon einmal gehört hat. Wann? Und wie oft? Das weiß sie nicht. Einmal, glaubt sie, hat er mit ihr

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