Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
ihren Rachen stieß. Manchmal sogar bis zum Halszäpfchen, was Amanda Schluckbeschwerden und im schlimmsten Fall sogar Übelkeit verursachte. Was hatte das um Himmels willen bloß mit Sinnlichkeit zu tun gehabt?
Sex mit Max, das war wie ein abendlicher Gang zur nächsten Kneipe im Nieselregen gewesen. Erst wenn man dort ankam, den Mantel wieder auszog und etwas zu trinken bestellte, merkte man, dass man nass geworden war. Genauso nass wie Amanda nach dem Sex mit Max, wenn sie sich, nachdem er sich von ihr heruntergerollt und ihre mit seinem Samen besprenkelten Oberschenkel mit einem Taschentuch abgerieben hatte, fragte, wo denn nur ihr Orgasmus geblieben war?
Wie mochte es heute wohl der Dame aus dem »Miniaturwunderland« ergehen? Spürte sie etwas, wenn Max in ihr war, oder erreichten die beiden ihre Höhepunkte etwa gar nicht beim Sex, sondern beim einträchtigen Synchronverschieben von Zwergengleisen?
Und wie mochte es sich wohl anfühlen, mit Cornelius zu schlafen?
Zehn Tage waren seit seiner letzten Nachricht nun schon vergangen. Am Morgen des zwölften hielt sie es nicht länger aus.
Amanda schrieb:
Wie wäre es mit einem Lebenszeichen, Adler!
Am Morgen des vierzehnten Tages wiederholte Amanda ihren Versuch:
Hallo, bist Du da? Weilst Du noch unter den Lebenden?, erhielt aber keine Antwort.
Endlich, am Abend des fünfzehnten Tages, traf eine neue Mail von Cornelius ein:
Entschuldige, aber ich bin so unendlich müde, Helena. Hab in diesen beiden Wochen nichts anderes getan, als meine Skulptur fertigzustellen. Manchmal, wenn ich draußen im Hof saß und in den Sternenhimmel geschaut habe, ist plötzlich Dein Gesicht vor mir aufgetaucht. Würdest Du jetzt etwas auf Deinem Cello für mich spielen? Vielleicht könnte ich dann endlich einschlafen. Und ich möchte unbedingt Deine Stimme hören. Ich stelle sie mir tief vor, vielleicht auch ein bisschen heiser. Auf jeden Fall wird sie ein Timbre haben, das wunderbar zum sanften Ausdruck Deiner Augen passt.
Gute Nacht, meine Schöne.
Schlaflos,
Cornelius.
Meine Güte, dachte Amanda und freute sich darüber, dass es ihr gelungen war, einen dermaßen romantischen Mann an Land zu ziehen, der sie allein schon mit seinen
Worten zu streicheln vermochte. Amanda musste ihn unbedingt kennenlernen, am besten schon morgen. Für heute würde sie sich allerdings damit begnügen müssen, sich auszumalen, wie er wohl aussehen mochte.
Amanda schrieb:
Du findest schöne Worte, doch ich muss unbedingt wissen, dass Du kein pickeliges Muttersöhnchen oder noch Schlimmeres bist. Zeig Dich! Vielleicht würde mir dann sogar einfallen, wie man Dich zur Ruhe bekommt.
Ganz liebe Grüße,
Helena.
Und Cornelius antwortete:
Ein sympathisches Gesicht ist für Dich also wichtiger als gute Gespräche und geistige Übereinstimmung? Interessant, aber ich möchte die Spannung noch ein wenig aufrechterhalten. Außerdem könnte ich Dir, wenn ich wollte, auch einfach das Foto eines Freundes mailen. Und was wäre dann? Er ist ein knackiger Typ, Surfer, eine echte Augenweide. Leider ein bisschen hohl in der braungebrannten Birne, aber wirklich sehr lieb. Soll ich Dich mal mit ihm bekannt machen?
Liebe Helena, bevor ich Dir meine Füße offenbare, sollten wir uns zuerst noch etwas besser kennenlernen. Doch wenn Du mir Deine Telefonnummer gibst, könntest Du schon heute mit mir sprechen und
später dann die Vorstellung, die Du von mir hast, mit dem wirklichen Cornelius vergleichen. Überhaupt, wie muss das Gesicht eines Mannes denn beschaffen sein, damit es Dir gefällt?
Fragt sich der nach dem vielen hervorragenden Essen in Italien nur noch Körner kauende Cornelius.
Kampf dem Bauchspeck!
P.S. Ich habe Sehnsucht nach Deiner Stimme.
Mistkerl, dachte Amanda. Andererseits war Cornelius nach wie vor der einzige Mann, mit dem ihr ein Treffen lohnenswert erschien. Für den heutigen Tag würde jedoch erst einmal Schluss sein. Amanda klappte ihren Laptop zu und zog sich ihre rosafarbenen Plastikhandschuhe über. Bisher hatte sie die nach Norden gerichteten Fenster im oberen Stockwerk ihres Hauses bei ihrer wöchentlichen Putzaktion immer ausgelassen. Schließlich schien dort nie die Sonne herein, aber nun brauchte sie etwas, womit sie sich beschäftigen und von Cornelius ablenken konnte.
Als sie wenig später auf der Leiter stand, um den Holzrahmen des Flurfensters abzuwischen, waren ihre Gedanken aber schon wieder bei ihrer Internetbekanntschaft angekommen. Als bildender Künstler
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