Totentaenze
sie meinen Bruder auf dem Gewissen.
Heute werde ich es ihr zurückzahlen. Ich habe Marie hierher gelockt, indem ich behauptet habe, Luis hätte mir kurz vor seinem »Unfall« etwas Wichtiges für sie gegeben, etwas, das er sich nicht getraut hat, ihr selbst zu geben. Und dass ich ihr das gerne zeigen würde. Ich hatte ziemlichen Bammel, weil ich dachte, sie würde dieses Manöver gleich durchschauen und es dann ablehnen herzukommen. Doch Marie hat mich nur mit ihren unschuldigen Augen angeblinkert und tatsächlich gesagt, sie käme gern! Gerade so, als hätte sie nur darauf gewartet, dass ich sie anspreche.
Mit einem unangenehmen Grummeln im Bauch gehe ich in unser Schwimmbad im Keller und mir ist ziemlich flau bei dem Gedanken an das, was ich mir vorgenommen habe.
Als wir noch kleiner waren, hat Luis hier unten immer versucht, mir Kopfsprünge beizubringen, was ihm aber nie gelungen ist, weil ich es einfach nicht über mich gebracht habe, mit dem Kopf voran ins Wasser zu springen. Und wenn ich dann rumgeheult habe, weil ich zu feige für einen Kopfsprung war, hat er mir die merkwürdigsten Arschbomben und Bauchplatscher vorgeführt und ich musste raten, wen er darstellt: Heidi Klum mit Blähungen, Stefan Raab beschwipst am Piranhabecken, Superman unglücklich verliebt …
Der Chlorgestank ist jedes Mal ein Schlag ins Gesicht, unwillkürlich schnappe ich nach Luft. Unser kleines Schwimmbad hat keine Fenster, nur eine mäßig gut funktionierende Lüftung. An der langen Seite des Pools befindet sich eine Fototapete mit einem karibischen Strand, davor stehen zwei Plastikpalmen, zwei Chairdecks, wie Mama diese klapprigen Liegestühle nennt, und zwei Tischchen. Die Wände sind in einem hellen Türkisgrün gestrichen und gekachelt. Man hat das Gefühl, als würde man in einem Ganzkörper-Pfefferminzbonbon stecken.
Ich lasse mich auf einen Liegestuhl fallen und meine Augen schweifen über den Pool. Hier werde ich es Marie-Amelie heimzahlen. Es ist nur gerecht, wenn sie das Gleiche durchmachen muss wie Luis. Auch wenn mein Herz allein bei dem Gedanken daran, dass ich sie unter Wasser drücken werde, sofort anfängt, wie verrückt zu pochen. Ob ich stark genug bin, sie so lange unten zu halten, wie es nötig ist? Und was ist, wenn sie rumheult und irgendwas von Reue stammelt?
Diesen Gedanken schiebe ich schnell von mir. Ich bin zwar alles andere als ein eiskalter Racheengel, doch ich brauche nur an Luis zu denken, wie er hilflos daliegt, verkabelt und mit Schläuchen im Mund und Kanülen in den Armen …
Das Ganze muss wie ein Unfall aussehen. Neulich habe ich in einem Tatort gesehen, wie in einem Internat ein Schüler ertränkt wurde. Das war sehr gruselig, weil die beiden Mörder ihn erst betäubt und dann in einem Bettbezug wie eine räudige Katze ertränkt haben. So einen hinterhältigen Mord könnte ich nie begehen.
Ich werde Luis rächen – Auge in Auge. Marie-Amelie soll wissen, wie es sich anfühlt, wenn man langsam das Bewusstsein verliert …
Unglaublich, dass ein Mädchen, das derart bösartig ist, einen so schönen Namen haben kann. Zwei meiner Puppen hießen so; die blonde mit den Zöpfen war Marie, die glatzköpfige Baby Born war Amelie. Die beiden sitzen heute noch ganz oben in meinem Bücherregal und erinnern mich an eine der wenigen Prügeleien, die ich jemals mit Luis hatte. Er hatte Amelie mit einem wasserfesten Filzstift ein Tattoo auf die Glatze gemalt, einen Delfin.
Die echte Marie-Amelie hat natürlich keine Glatze, sondern langes wuscheliges Haar in einem gähnend langweiligen Graublond. Eigentlich passt es perfekt zu ihrem Typ: grau und öde.
Wir waren mal zusammen in einer Klasse, aber sie ist sitzen geblieben und dann in Luis’ Klasse gelandet. Ich erinnere mich kaum an Marie, sie war immer sehr still, ziemlich moppelig und ungefähr so schillernd wie ein Sack Mehl.
Wie konnte sich Luis nur in sie verlieben? Was fand er nur an ihr?
Ich stehe auf und gehe um das Becken. Zuerst hatte ich überlegt, sie einfach reinzuschubsen; aber am einfachsten wäre es natürlich, wenn ich sie dazu kriege, mit mir schwimmen zu gehen. Ich werde ihr vorher eine Cola anbieten, in die ich Wodka reinmische, was sie hoffentlich etwas unvorsichtiger machen wird. Das ist wichtig, weil sie kräftiger ist als ich – und schließlich muss ich sie lange genug unter Wasser halten können, bis sie das Bewusstsein verliert …
Ich werfe noch einen letzten Blick auf die spiegelglatte Wasseroberfläche, dann gehe
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