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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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ist Wissenschaftlerin.«
    »Forensische Pathologin?«
    »Ja, glaube ich.«
    »Donnerwetter.«
    Katya hatte sich in sich selbst zurückgezogen, und ihre Miene war unergründlich.
    »Und was sind Sie dann?«, fragte die Frau. »Ihr Fahrer?«
    Nayir zögerte. »Ich bin ein Freund. Ich bin mitgekommen, weil Ihr Vermieter eine Sammlung von Koranschriften hat, und damit …« Bei dem Wort »Koranschriften« hatte sich ihr Gesichtsausdruck verändert. Er hätte gern nachgefragt, aber sein Instinkt sagte ihm, dass sie abblocken würde, wenn er das täte. »… kenne ich mich ein bisschen aus. Sind Sie sicher, dass Sie Ihrem Vermieter nie begegnet sind?«
    »Ja.« Sie drehte sich zum Herd um. »Leider hab ich keinen Tee oder Kaffee im Haus. Möchten Sie beide vielleicht ein Glas Wasser?«
    »Nein.« Nayir vermied es, zu Katya hinüberzusehen. »Vielen Dank. Wie kommt es, dass Sie die Wohnung gemietet haben, ohne Ihren Vermieter mal gesehen zu haben?«
    Sie hatte begonnen, im Kühlschrank herumzusuchen, vermutlich, um ihr Gesicht zu verbergen. Ihr Pech, dass sie den Neqab abgenommen hatte. »Oh«, sagte sie munter, »mein Mann hat die Wohnung besorgt, bevor ich herkam.«
    »Und wo ist Ihr Mann?«
    Sie schloss den Kühlschrank und sah ihn an. Er hatte seine Frage nicht vorwurfsvoll gemeint, aber so hatte die Frau sie offenbar aufgefasst. »Er ist nicht hier«, sagte sie. »Warum wollen Sie das wissen?«
    Er hielt die Augen auf ihr Gesicht gerichtet, um nur ja nicht Katya anzusehen. »Ich dachte nur, wir könnten ihn nach Mr. Nabih fragen, falls wir ihn unter dieser Adresse nicht antreffen.« Er zeigte auf die Papiere. »Wann kommt er zurück?«
    Die Frage war einfach, aber sie hatte Mühe, sie zu beantworten. »Vielleicht heute Abend.«
    Nayir spürte das Prickeln, das stets bei ihm einsetzte, wenn er eine wichtige Entdeckung machte. »Mrs …«
    »Walker«, sagte sie. »Miriam Walker.«
    »Mrs Walker.«
    »Bitte, sagen Sie einfach Miriam.«
    Nayir stockte, sagte dann behutsam: »Ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, aber wo könnten wir Ihren Mann finden?«
    Sie stand stocksteif vor der Arbeitsplatte, die Arme hölzern am Körper, einen schrecklichen, starren Ausdruck im Gesicht, der Angst sein mochte oder Schmerz oder heimliche Wut. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich.
    Katya blickte ihn fragend an, aber er reagierte nicht darauf.
    »Hat er Sie verlassen?«, fragte Nayir.
    Miriam schüttelte den Kopf und sagte sehr langsam: »Ich weiß nicht.« Noch nie hatte er so genau beobachten können, wie eine Frau mit den Tränen kämpfte. Ein einziges Mal war er dabei gewesen, als Katya weinte, aber da hatte sie einen Neqab getragen. Miriams Gesicht war ganz verkrampft von der Anstrengung, ein Zittern zu kontrollieren, das sie von innen zu schütteln schien. Die Luft vibrierte vor Spannung. Sie blickte nach unten und registrierte, dass sie ein Geschirrtuch in der Hand hielt. Sie legte es auf den Herd.
    »Wie lange ist er schon weg?«, fragte Nayir sanft.
    »Oh, äh.« Ihre Stimme bebte. »Seit drei Tagen. Er hat mich vom Flughafen abgeholt. Ich hatte meine Familie in den Staaten besucht. Und dann ist er noch mal los, um was zum Abendessen zu holen. Ich hatte eigentlich keinen Hunger – dachte ich zumindest –, aber er bestand darauf. Da war noch alles normal. Aber dann –« Sie winkte ab.
    »Dann was?«, flüsterte er. Er sah eine Träne über ihre Wange laufen. Sie wischte sie zornig weg. »Dann ist er verschwunden?«
    Miriam nickte, die Lippen fest zusammengepresst, damit sie nicht bebten.
    »Und seitdem haben Sie nichts mehr von ihm gehört?«, fragte er.
    Sie nickte, stieß ein jähes bellendes Lachen aus und holte tief Luft. »Wissen Sie was? Ich wollte gerade los, um eine Freundin zu besuchen, und ich möchte mich wirklich nicht verspäten.« Ihre Wangen waren scharlachrot, und sie stand so dicht vor ihm, dass er einzelne rote Äderchen unter dieser seltsam zarten, durchscheinenden Haut sehen konnte. Er verspürte den Drang, irgendetwas zu tun, um sie irgendwie zu trösten, aber ihre ganze Körpersprache signalisierte Rückzug.
    Plötzlich streckte Katya den Arm aus und ergriff Miriams Hand. Die Geste erschreckte alle, aber Miriam brachte ein Lächeln zustande. »Danke. Es geht schon wieder.«
    Ohne Katya anzusehen, erklärte Nayir ihr, was Miriam gesagt hatte.
    »Hat sie die Polizei verständigt?«, fragte Katya. »Oder das Konsulat?«
    »Ja, ja, ich komm schon zurecht«, antwortete Miriam hastig,

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