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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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betrachteten den Rover anerkennend, aber als Nayir langsamer wurde, wandten sie sich ab und gingen davon.
    Der Häuserblock war ein Mischmasch aus alten Mietshäusern, von denen sich einige bedenklich schräg über die Straße neigten. Viele Fassaden waren mit Graffiti beschmiert und verdreckt. Nayir parkte vor dem Haus.
    »Kaum zu glauben, dass hier ein Kunstsammler wohnen soll«, sagte Katya.
    Er pflichtete ihr stumm bei. Die Haustür war nicht abgeschlossen, aber schwierig zu öffnen, weil die Angeln rettungslos verrostet waren, und als es ihnen schließlich gelang, ertönte ein lautes Quietschen, das die Nachbarn alarmierte. Nayir hörte Rascheln hinter Wohnungstüren, wo Frauen durch die Spione spähten. Die abgestandene Luft im Flur roch nach altem Essen – Curry und Bohnen. Der Linoleumboden unter seinen Schuhsohlen fühlte sich klebrig an, als er vor Katya die Treppe hinaufging.
    Apartment Nummer sechs war im zweiten Stock. Bevor er anklopfte, drehte Nayir sich zu Katya um. »Falls dieser Mann – wie heißt er noch mal?«
    »Wahhab Nabih.«
    »Falls dieser Herr Nabih nicht mit einer Frau sprechen will, was soll ich dann …?«
    »Frag ihn einfach, was er über Leila weiß, was sie für ihn gemacht hat, so was eben«, sagte Katya. »Wahrscheinlich hat er aber nichts dagegen, mit Frauen zu sprechen«, fügte sie hinzu. »Schließlich hat das Opfer für ihn gearbeitet.«
    »Richtig.« Nayir klopfte an die Tür. Sie hörten drinnen Bewegung, dann einen dumpfen Schlag, als wäre ein Buch zu Boden gefallen. Eine Frauenstimme fluchte leise. Schritte näherten sich.
    »Wer ist da?«, fragte die Frau. Zu ihrer Verblüffung sprach sie Englisch. Katya blickte Nayir verwirrt an.
    »Entschuldigen Sie die Störung, Miss Nabih«, sagte er. »Aber es geht um eine polizeiliche Angelegenheit.«
    Schweigen.
    »Miss Nabih?«
    »Sie haben sich in der Tür geirrt«, sagte die Frau. »Ich bin nicht Miss Nabih.«
    »Was hat sie gesagt?«, fragte Katya besorgt. Er übersetzte. »Sag ihr, es geht um den Mord an einer jungen Frau und dass ich Ermittlerin bin. Falls sie allein zu Hause ist, würde ich allein reinkommen. Ich muss ihr nur ein paar Fragen stellen und abklären, ob vielleicht die ganze Adresse falsch ist.«
    »Du sprichst kein Englisch«, sagte er.
    Katyas Schultern sackten herab. »Erklär ihr einfach, worum es geht, vielleicht lässt sie uns ja beide rein.«
    Nayir tat es und übersetzte die Antwort: »Sie kennt niemanden mit dem Namen Nabih, weder im Haus noch sonst wo.«
    Katya blickte geknickt. »Dann muss die Adresse falsch sein, aber es ist die einzige, die wir unter dem Namen gefunden haben. Falls diese Frau uns nicht helfen kann, kommen wir nicht weiter.«
    Er übersetzte Katyas Worte, aber erneut ernteten sie nur Schweigen.
    Nayir wartete auf Katyas Vorschlag, wieder zu gehen, doch sie starrte flehend den Türspion an. Er begriff, wie sehr es sie drängte, mit der Frau zu sprechen, um den Mörder zu finden und diesen Fall mit ihm zusammen ebenso erfolgreich aufzuklären wie den letzten.
    Schließlich hörten sie einen Riegel klacken. Die Tür öffnete sich ein paar Zentimeter, und eine Frau starrte sie an. Selbst wenn er ihre Stimme nicht gehört hätte, hätte er gewusst, dass sie Ausländerin war. Ihr Neqab war so fest um das Gesicht gezogen, dass der Schlitz für die Augen fast bis zum Zerreißen gedehnt war, was vermutlich eine bessere Sicht gewährte, aber die Augen vorquellen ließ. Sie waren groß und von einem erstaunlich hellen Blau.
    »Ich glaube, Nabih ist der Name von meinem Vermieter«, sagte sie.
    Nayir hielt den Blick auf den Türrahmen gerichtet. »Haben Sie seine Adresse?«, fragte er.
    Die Frau nickte, öffnete die Tür ganz und forderte sie mit einer Handbewegung auf einzutreten.
    Nayir trat in die Diele, bemüht, die Frau nicht anzustarren. Als sie fluchte, hatte er sich etwas – nun ja, irgendwie Größeres, Runderes und weniger Verhülltes vorgestellt. Aber die Frau war klein und zierlich, und obwohl ihr Umhang zehn Zentimeter zu kurz war und ein wenig zu eng an ihren verschwitzten Armen klebte, wirkten ihre Bewegungen, die Art, wie sie sich nah bei der Tür hielt und ihre Augen nervös nach einer Stelle suchten, wo sie gefahrlos verweilen konnten, ausgesprochen sittsam und schon beinahe unbeholfen.
    Nayir wollte in den Salon der Männer, der sich gleich neben dem Eingang befand, wie er an den schmutzigen Teetassen, einer Wasserpfeife und den herumliegenden Spielkarten erkannte.

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