Totenwache - Thriller
meistens ein frisches Lüftchen wehte, eignete sie sich hervorragend für seine häufig übel riechenden Experimente.
Er schraubte ein Tötungsglas auf, das oben eine weite Öffnung hatte, und schob die Spitze des Netzes hinein. Dann verschloss er es wieder und ließ das Äthylazetat seine Wirkung tun. Nick hatte die meisten Proben - die üblichen Brummer - schon zur DNS-Bestimmung an Sanjay weitergeleitet. Doch er hoffte, dass ihm wenigstens an diesem Tag einmal etwas Ungewöhnliches ins Netz geraten würde - vielleicht eine Phormia regina oder eine holarktische Schmeißfliege. In wenigen Minuten würde er die Proben dann zur Konservierung in ein opakes Glas mit einer 95-prozentigen Äthanollösung geben, wo die DNS der Insekten vor den schädlichen Wirkungen des ultravioletten Lichts geschützt war.
Dann schrillte das Handy in seinem Rucksack. Nick kramte das Gerät umständlich zwischen seinen Sachen hervor und klappte es auf.
»Ja?«
»Nick? Nick Polchak?«
»Wer spricht?«
»Nick, hier ist Freddie, du weißt schon: von ›Insekten-Schreck! ‹«
»Hey, Freddie, ich hoffe, das Geschäft brummt. Hast du …«
»Nick, wir haben ein Problem.«
Nick hielt kurz inne. »Ich höre«, sagte er dann.
»Das FBI ist heute früh hier bei mir gewesen. Hast du das verstanden ? Nicht die Polizei, Nick, ein FBI-Beamter .«
»Interessant. Und was wollte der?«
»Der Mann wollte wissen, warum wir letzte Woche auf dem Grundstück von diesem Dr. Lassiter das riesige Zelt aufgebaut haben. Der wusste genau Bescheid. Offenbar hat das FBI dort Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass es im ganzen Haus weder eine einzige Termite noch einen Holzschaden gibt.«
»Das nennt man Kundenzufriedenheit«, sagte Nick und versuchte mit dem Netz eine vorbeisurrende Schraubenwurmfliege einzufangen.
»Nick, das ist kein Witz. Der Mann weiß, dass die ganze Aktion bloß vorgetäuscht war. Er will die Namen der Mitarbeiter wissen, die ich dort eingesetzt habe. Außerdem will er meine Auftragsbücher sehen. Wenn ich ihm die Bücher zeige, sieht er sofort, dass meine Leute an dem Tag allesamt woanders beschäftigt waren. Das heißt, ich müsste ihm erklären, dass ich noch ein paar Zusatzkräfte engagiert habe.«
»Sag ihm halt, dass du dich im Augenblick vor Aufträgen kaum retten kannst - und dass im Hochsommer immer besonders viel Arbeit anfällt.«
»Dann will er ganz sicher die Papiere sehen: Versicherungsnummern, Steuerunterlagen … Und noch was, Nick: Der Mann hat sich in der Nachbarschaft umgehört. Angeblich hat euch jemand gesehen. Er hat mich gefragt, ob ich einen Mitarbeiter habe, der sehr groß ist und eine riesige Brille trägt. Mir fällt beim besten Willen keiner von meinen Leuten ein, auf den die Beschreibung zutrifft.«
»Dein Fehler, Freddie. Du solltest einfach mehr gut aussehende Leute einstellen.«
»Nick, hör auf. Das ist wirklich kein Witz. Er hat damit gedroht, dass man mir die Lizenz entzieht. Hast du das gehört? Die Lizenz . Ich habe dir einen Gefallen getan, und jetzt hänge ich voll in der Scheiße. Nick, was habt ihr da
eigentlich gemacht, dass sich sogar das FBI dafür interessiert?«
»Was will der Mann, Freddie?«
»Er will Namen.«
»Rufst du mich von deinem Handy aus an?«
»Ja. Sicher.«
»Dann kennt er meinen Namen ohnehin schon - du hast ihn ja mindestens zehnmal genannt. Und wie du so treffend bemerkt hast: Wir haben es hier mit dem FBI zu tun.«
»Nick, der Mann hat mir bis morgen früh Bedenkzeit gegeben. Dann kommt er wieder … und wenn ich dann nicht …«
»Ich erledige das - versprochen. Hat er dir eine Karte dagelassen?«
»Ja, liegt direkt vor mir.«
»Dann ruf ihn an und sag ihm, dass du es dir überlegt hast.«
»Und was genau soll ich ihm sagen?«
»Sag ihm einfach meinen Namen und dass ich mit ihm sprechen möchte.« Nick hielt kurz inne. »Beziehungsweise, dass er gewiss gerne mit mir sprechen würde.«
25. Kapitel
»Dr. Polchak? Ich bin Special Agent Cruz Santangelo. Was dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?« Nick und Riley saßen nebeneinander auf dem Deck der Majestic auf einer Bank. Der Raddampfer war das Flaggschiff der Gateway Clipper Fleet. Es war noch ziemlich früh am Morgen: die erste Besichtigungstour des Tages, die auf den drei Flüssen - Ohio, Allegheny und Monongahela - um die gesamte Innenstadt herumführte. Nur die wenigsten der zahlreichen Tische an Deck waren besetzt. Die Reling war fast vollständig weiß gestrichen; nur die obere
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