Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toter Mann

Toter Mann

Titel: Toter Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
Feind sein. Der Feind war ganz nah. Er hatte ihn in der Hand. Was immer er tat, er hatte ihn in der Hand.
    Er wartete auf die Fähre, die erst in einer Viertelstunde kommen würde. Mit ihm warteten einige Leute. Er sah sie nicht an. Sie kannten ihn nicht. Das merkte er. Er schaute sich um. Wenn man tatsächlich verfolgt wird, ist man nicht paranoid. Er ließ den Blick über die Bucht schweifen, er konnte die Spitze der Insel auf der anderen Seite sehen. Dort hatte er einmal vor tausend Jahren gestanden. Damals hatte er das Gefühl gehabt, auf dem höchsten Gipfel der Erde zu stehen.
    Er ging an Bord und die Treppe zum Oberdeck hinauf. Hier war er allein. Der Himmel war genauso blau wie im Sommer, sogar noch blauer. Es war windig, aber er fror nicht. Die Fähre legte ab und glitt durch den Hafenkanal. Über ihm kreisten Möwen. Linker Hand sah er jemanden auf den Klippen stehen. Es war ein Mann, der die Hand hob, wie zum Gruß. Er meint mich, dachte er. Es ist ein Zeichen. Der Mann auf dem Felsen blieb mit erhobenem Arm stehen. Er grüßte nicht zurück. Das Schiff nahm Fahrt auf. Er spürte den Wind in den Haaren. Es war wie auf dem offenen Meer, aber das Meer begann erst weiter südlich von Vrångö. Eine Zeitlang hatte er erwogen, sich dort niederzulassen. So weit wie möglich entfernt von der Stadt zu wohnen, ohne sie ganz zu verlassen. Aber das war damals gewesen, als er noch selbst hatte wählen können.
    In seiner Brusttasche vibrierte das Handy. Er hatte es nicht gehört. Er wollte es nicht hören. Aber er war gezwungen, es dabeizuhaben, es zu hören.
    »Ja?«
    »Wo bist du?« »Nirgends.«
    »Ich höre einen Motor.« »Ich nicht.«
    »Einen Schiffsdiesel. Du bist auf dem Weg dorthin, oder?« Er antwortete nicht.
    »Ist es das erste Mal? Seit damals, meine ich.« Auch darauf gab er keine Antwort.
    »Ich glaube nicht, dass es dir hilft.«
    »Was hilft mir denn?«, fragte er. Er musste fast schreien. Vielleicht schrie er. Hier oben hörte ihn keiner. In den südlichen Schären kann dich keiner schreien hören, ha, ha, ha.
    »Es ist nicht vorbei«, sagte die Stimme am Telefon. Sie konnte er hören. »Das hast du doch auch nicht geglaubt, oder?«
    Die Fracht wurde zum vereinbarten Zeitpunkt angeliefert. Sie benutzten die Straßen, die von hinten zu den Lagerhäusern führten. Jedes Mal, wenn er sich in dieser Gegend aufhielt, wunderte er sich darüber, dass es die Straßen tatsächlich noch gab. Es war wie in alten Zeiten, den Zeiten der Werft. Als Junge war er mit seinem Vater durch diese Straßen gegangen. Das hatte er nicht vergessen. Er würde auch Schiffe bauen, genau wie Papa. Sie würden sie zusammen bauen. Papa würde es immer hier geben.
    Das Umladen sollte ungefähr eine Stunde dauern. Diesmal wollte er dabei sein. Er wusste eigentlich nicht, warum. Er war ungeduldig. Vielleicht weil es ein schöner Abend war, es wurde gar nicht richtig dunkel. Das war auch nicht nötig. Denn niemand würde hier suchen. Manchmal wunderte es ihn, dass sich die Polizei hier draußen nicht blicken ließ. Vielleicht war es ihnen zu naheliegend und zu einfach.
    Die Tore glitten auf. Er fuhr geradewegs hinein, stieg aus, sah sich um. Es roch nach Eisen und Staub. Der Geruch erinnerte ihn an seine Kindheit. Er hatte auf Papas Schultern gesessen. Eisen, Staub, Feuer. Riesige Flammen.
    Das Geheul der Sirenen. Tausend Männer, die dort drinnen im Schweiße ihres Angesichts schufteten. Im Schweiße ihres Angesichts. Das hatte er nie getan. Er schwor, dass er es niemals tun würde, schwor es im Angesicht des Feuers. Er würde nie für diese Gesellschaft, dieses Land arbeiten. Er würde gegen alles anarbeiten. Nie vergaß er den Besuch des Mannes von der Direktion. Damals war er schon verständig genug gewesen, um die Verachtung zu spüren. Das würde er ihnen nie verzeihen. Er würde sich rächen, auf seine Art. Er war ein guter Rächer geworden.
    Drinnen sagte niemand etwas. Er sah die Pakete in dem kalten Licht aufblitzen, als sie gewissermaßen durch die Luft flogen. Fünfzehn, zwanzig Männer, darunter einige Gesichter, die er nicht kannte.
    »Zufrieden, Lejon?«
    Er zuckte fast zusammen, weil ihm nicht bewusst gewesen war, dass er so nah bei ihnen stand. Er hatte die Arbeit beobachtet.
    Jetzt nickte er.
    »In einer Viertelstunde sind wir fertig.« »Gut.«
    »Kommst du mit ins Hotel?« »Nein.«
    »Wie steht es mit dem Auto?«
    »Dem Auto?« Er drehte sich um. Der Mann lächelte. Es sollte also ein Scherz sein. Das gefiel ihm

Weitere Kostenlose Bücher