Toter Mann
dafür die nötige Ruhe?«
»Offenbar.«
»Ich kann mich gar nicht erinnern.« »Wirklich nicht?«
»Ich ... glaube nicht. Ich kann mich kaum an unsere Kindheit erinnern. Das gefällt mir nicht. Ich sollte mehr Erinnerungen haben.«
»Sonst hast du doch ein hervorragendes Gedächtnis.« »Vielleicht stimmt etwas nicht mit meinem Kopf.« »Mit deinem Kopf?«
»Manchmal hab ich verdammte Kopfschmerzen. Sie kommen und gehen.«
»Hast du das schon länger?«
»Einige Monate.«
»Das klingt nicht gut. Was sagt Angela dazu?«
»Wir ... sie glaubt, es ist Migräne. Ich nehme ein Medikament. Aber es hilft nichts.«
»Du machst mir langsam Angst.« »Ein Tumor ist es nicht.« »Woher weißt du das?«
Er antwortete nicht.
»Herrgott, und du hast mir nichts erzählt! Weiß Mama etwas davon?«
»Nein. Es ist ja nichts.«
»Ihr Männer seid verrückt! Irgendwas muss es ja sein. Du hast doch Schmerzen.«
»Es ist nur der Stress. Ich fühle mich eigentlich nicht gestresst, aber mein Kopf empfindet das wohl anders, manchmal.«
»So etwas kann zu einer Gehirnblutung führen oder einem Schlaganfall.«
»Danke sehr.«
»Du hast damit angefangen. Ich mache mir Sorgen, das musst du doch begreifen.«
»Wie sind wir eigentlich darauf gekommen?«
»Du hast gesagt, dass mit deinem Kopf vielleicht etwas nicht stimmt.«
»Das hab ich schon wieder vergessen.« »Nimmst du mich jetzt auf den Arm, Erik?« »Nur ein bisschen.«
»Und auch was die Kopfschmerzen angeht?« »Nein, das meine ich ernst.«
»Ihr müsst etwas unternehmen.«
»Wir können nichts machen. Es wird vorbeigehen.« »Wann?«
»Wenn ich es wüsste, wäre ich schon dort.« »Wie poetisch das klingt.«
»Wann hast du zuletzt etwas von Benny gehört?«, fragte Winter. »Was? Was soll das denn jetzt?«
Ihr Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Sie saß weiter vom Fenster entfernt als er. Die Straßenbeleuchtung war schwach in diesem vergessenen Randbezirk von Göteborg. Manchen, die hier lebten, gefiel es, nicht weiter beachtet zu werden. Sie wollten in der Vergangenheit leben.
»Ich will nicht über Benny reden«, sagte sie. »Das weißt du. Ich will nie mehr über ihn reden.«
Benny Vennerhag. Einer der klassischen Gangster. Ein Gangster im Göteborg der alten Zeit, Schwede, hin und wieder Pole. Bevor sie Kinder bekam, war Winters Schwester Benny einmal verfallen gewesen. Benny hatte es nie vergessen können. Etwas hatte er falsch gemacht in ihrer Beziehung. Darüber und wie er sie wieder einrenken könnte, grübelte er nach, seit Lotta das Verhältnis beendet hatte. Nicht Benny hatte die Beziehung beendet. Aber schließlich hatte er seine sogenannten »Mitteilungen« aufgegeben. Und Winter hatte ihn einmal fast umgebracht, ihn in seinem eigenen Swimmingpool fast ertränkt. Es war sieben oder acht Jahre her, sie hatten nach Halders gesucht, der von anderen Gangstern gekidnappt worden war. Irgendetwas hatte Benny gewusst. Vielleicht wusste er jetzt auch etwas, etwas, das mit Sellberg und Richardsson zusammenhing. Etwas über die Waffe. Soweit Winter informiert war, hatte Benny noch immer einen guten Einblick in alles, was sich in Göteborgs Unterwelt tat. Er war eine Art schwedischer Pate. Seit damals hatte Winter ihn nicht mehr gesehen. Er wusste, dass Benny regelmäßig Kontakt zur Polizei hatte, aber Winter hielt sich von ihm fern. Jetzt näherte er sich Benny wieder in Gedanken an. Es ging um die Waffe. Und um das Mysterium, vor dem er stand. Oder dem Puzzle. Das, was dahintersteckte.
»Ich glaube, ich möchte mich mal mit ihm unterhalten«, sagte Winter. Das klingt hoffentlich einigermaßen unverfänglich?, dachte er.
»Halt mich da raus.« »Klar, mach ich.«
»Du bildest dir ein, du hast ... Zugang zu diesem Schwein durch ... mich. Das gefällt mir nicht, Erik. Kannst du nicht auf ein Treffen mit ihm verzichten? Um meinetwillen? Ist es wirklich so wichtig, mit ihm zu reden?«
»Wenn ich es tue, werde ich deinen Namen nicht erwähnen.« »Glaubst du, du kannst es vermeiden?«
In dem Augenblick wurde die Flurtür geöffnet. Eine Stimme flog wie ein Lichtkegel in die dunkle Küche: »Onkel Erik!«
Der Wind strich über Saltholmen. Er war von Långedrag durch die Saltholmsgatan gegangen, wo die Reichen wohnten. Als er jung war, war er hier leicht wie eine Feder gelaufen, die schnellen Schritte ins Leben, das noch gar nicht richtig begonnen hatte. Jetzt hatte er kaum Kraft zu gehen. Was hatte es für einen Sinn? Jeder Vorbeifahrende konnte der
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